: Mauretanien gibt sich zivil
Kein Jahr nach einem Militärputsch ist Mauretanien nicht nur das wirtschaftlich attraktivste Land Afrikas, sondern gibt sich jetzt auch eine demokratische Verfassung
BERLIN/BRÜSSEL taz ■ 96,97 Prozent Ja-Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von über 76 Prozent – mit diesem Ergebnis kann Mauretaniens Militärjunta zufrieden sein. Die Regierung von Oberst Ely Mohamed Ould Vall, der am 3. August 2005 den ungeliebten zivilen Präsidenten Maaouiya Ould Taya nach 21 Jahren Herrschaft weggeputscht hatte, holt sich mit diesem Referendumsergebnis die Zustimmung für eine erneute Demokratisierung des Wüstenstaates an der westafrikanischen Atlantikküste, die diesmal hoffentlich besser verläuft als die von Taya in den 90er-Jahren. Mit Präsidentschaftswahlen im März 2007, zu denen Vall nicht antreten will, soll die Macht zurück an eine gewählte Zivilregierung gehen.
In der neuen Verfassung ist die bisherige Machtfülle des Präsidenten deutlich eingeschränkt. Er darf keine politische Partei führen, seine Amtszeit wird von 6 auf 5 Jahre verkürzt, nur eine einzige Wiederwahl ist möglich; außerdem wird die Macht des Parlaments gegenüber dem Staatsoberhaupt verstärkt. Alle wesentlichen politischen Parteien Mauretaniens hatten für die Zustimmung zur Verfassung geworben, die für die Maghreb-Länder ein demokratisches Modell darstellt. Festgeschrieben wird auch eine Frauenquote von 20 Prozent in allen gewählten Institutionen – auch das eine Neuerung in der sehr konservativ geprägten „Islamischen Republik Mauretanien“, wo bisher 95 Prozent der Parlamentarier und 97 Prozent der Kommunalabgeordneten Männer waren.
Bei der Unabhängigkeit 1960 war Mauretanien noch ein von Nomadenclans geprägtes Wüstenland und seine Hauptstadt Nouakchott kaum mehr als eine Ansammlung von Zelten. Heute steuert Nouakchotts Einwohnerzahl auf die Million zu, und das ganze Land lebt in der rapiden Modernisierung: Überlandstraßen werden durch die Wüste gebaut, die Ölförderung vor der Küste hat soeben begonnen, Mobiltelefone sind weit verbreitet. Zum Verfassungsreferendum erhielten Handy-Besitzer regelmäßig SMS-Nachrichten wie: „Wählen nicht vergessen! Wählt JA für Demokratie, JA für Zukunft!“ Das war eine Premiere für Afrika, berichtet stolz die offiziöse Tageszeitung Nouakchott Info.
In ihren neuesten Wirtschaftsprognosen für Afrika gibt die OECD (Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) Mauretanien für 2006 ein Wirtschaftswachstum von 26,9 Prozent – die höchste des Kontinents. Die Ölförderung in Mauretaniens Tiefseefeldern rund 65 Kilometer vor Nouakchott im Atlantik, wo sich neben Bohrplattformen der Firma Woodside aus Australien auch zahlreiche europäische Ölfirmen drängeln, liegt bereits bei 75.000 Barrel täglich und soll sich nach offiziellen Prognosen bis Ende 2007 vervierfachen.
Als jüngstes Ölförderland des Kontinents und Demokratiemodell des arabischen Nordafrika wird Mauretanien nun auch privilegierter Partner Europas in der Region. Im Mai verkündete die EU die Wiederaufnahme seiner Entwicklungszusammenarbeit, die nach dem Militärputsch von 2005 eingestellt worden war. 115 Millionen Euro für den Zeitraum 2002-2007 sind nun freigegeben, wovon 85 Prozent für die Verkehrsinfrastruktur gedacht sind – ganz im Sinne der Afrikapolitik der EU-Kommission, die den Schwerpunkt ihrer Zusammenarbeit mit dem Nachbarkontinent auf den Ausbau des Transportwesens setzt.
Die EU-Gelder sind an 24 Bedingungen der Demokratisierung geknüpft, die nach Angaben aus Brüssel allesamt respektiert werden. Dabei geht es neben einem Zeitplan zur Wiedereinführung gewählter ziviler Institutionen unter anderem um die Einführung von Gesetzen zur Parteienfinanzierung, die Garantie der Unabhängigkeit der Justiz und Maßnahmen zur „guten Regierungsführung“. Die Regierung Vall hat sich verpflichtet, im Wahlkampf allen Kandidaten gleichen Zugang zu den Medien zu gewähren und sich an die Zusage zu halten, dass die Militärs neutral bleiben und nicht kandidieren. All diese Dinge sind ansonsten bei afrikanischen Demokratisierungsprozessen keine Selbstverständlichkeiten.
Für die EU ist Mauretanien auch deswegen wichtig, weil es der größte afrikanische Partner im Fischereisektor ist und der Zugang der EU-Fischereiflotten zu Afrikas Gewässern immer wieder strittig ist – die Gespräche über ein neues Fischereiabkommen mit Mauretanien kommen derzeit nicht voran. Auch beim Thema Migration ist Mauretanien wichtig, denn mauretanische Häfen haben als Transitorte für westafrikanische Migranten auf dem Weg zu den Kanaren gehört. Um sich die Kooperation Nouakchotts bei der Abwehr der illegalen Migration zu sichern, drängte Spanien auf die schnelle volle Wiederaufnahme der EU-Entwicklungszusammenarbeit. Gemeinsame Patrouillen der spanischen und mauretanischen Marinen wurden bereits am 24. Mai vereinbart. DOMINIC JOHNSON
FRANÇOIS MISSER