: Banken ignorieren Kundenrechte
Kein Geld bei falschem Wohnort? Verbraucherminister Seehofer fordert bei der Kreditvergabe mehr Einblicke für die Kunden. Bislang erfahren Verbraucher nur selten, welche Daten die Finanzinstitute für die Bonitätsprüfung speichern und auswerten
VON CHRISTIAN RATH
Wer in der Nähe des Bahnhofs wohnt, könnte Probleme haben, Geld von der Bank zu bekommen. Kreditinstitute unterstellen ihm das schlechte Zahlungsverhalten vieler anderer Leute in der Gegend. Oft weiß er es gar nicht. Die Banken erläutern ihre Kriterien für die Kreditvergabe.
„Der Kunde hat ein Recht darauf zu erfahren, welche Informationen man über ihn erhebt und speichert und was damit gemacht wird“, kritisierte nun gestern Bundesverbraucherminister Horst Seehofer (CSU). „Transparenz hilft, falsche Informationen zu korrigieren und falsche Bewertungen zu vermeiden.“
Verbraucherschützer fürchten schon lange, dass Finanzinstitute bei der Kreditvergabe statistische Daten auswerten – und Bürger Opfer eines Vorurteils werden. Seehofer stützt sich nun auf eine neue Studie, die der Datenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, für das Ministerium geschrieben hat.
Demnach prüfen einige Banken die Bonität ihrer Kunden zum Beispiel anhand der Adresse. Sie ziehen Rückschlüsse über das soziale Wohnumfeld. Die meisten Finanzinstitute, so fand Weichert heraus, beschränken sich aber auf die Auswertung unverfänglicherer Daten wie Einkommen, monatliche Ausgaben und bisherige Kontoüberziehungen.
Scoring nennen die Banker die Datenauswertung. Der Kunde muss mit einem höheren Zinssatz rechnen, je schlechter er beim Scoring abschneidet. Die Kreditvergabe soll so objektiviert werden und nicht mehr allein vom subjektiven Eindruck der Bankangestellten abhängig sein. Außerdem wird die Kreditvergabe für die Banken aber auch günstiger: Sie brauchen weniger hochqualifiziertes Personal.
Das Scoring dürfe für die Bürger keine „Black Box“ sein, warnte Weichert gestern. Tatsächlich darf ein Kreditinstitut die Daten eines Bankkunden nur mit dessen Einwilligung per Scoring-Verfahren auswerten. Und das Ergebnis, also der so genannte Score, darf nicht automatisch zur Ablehnung eines Kredites führen. Ein solventer Manager aus der Bahnhofsgegend muss also Gelegenheit bekommen, den Irrtum aufzuklären. Und die Kunden müssen kostenfrei Auskunft bekommen – über die Kriterien, ihre Gewichtung und das Ergebnis der Datenauswertung.
Auch das Gleichbehandlungsgesetz ist bei der Kreditvergabe von Bedeutung. In den kommenden Tagen soll es im Bundestag beschlossen werden. Damit wird verboten, jemanden aufgrund von Rasse, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Alter, Behinderung, Religion und sexueller Identität zu benachteiligen. Diese Kriterien dürften also auch nicht ins Scoring-Verfahren einfließen, erklärte Weichert.
Zwar sind die Kriterien zur Gleichbehandlung im Geschäftsleben auf „Massengeschäfte“ beschränkt. Aber genau das Scoring-Verfahren, so sagte Weichert, mache die Kreditvergabe zu einem Massengeschäft. Denn dabei käme es nicht mehr auf das Ansehen der individuellen Person an.
In den USA wurde das Scoring vor rund 50 Jahren erfunden. Dort ist es längst verboten, die Kreditvergabe von der Hautfarbe, der Religionszugehörigkeit oder dem Bezug von Sozialhilfe abhängig zu machen. Hierzulande, so warnte Weichert, hätten die Kunden nur selten die Möglichkeit, ihre Interessen einzubringen. Verbraucher- und Datenschützer müssten darum viel stärker kontrollieren. Aber vor allem seien die Auskunftsrechte bei Banken und Kunden noch viel zu wenig bekannt.