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Archiv-Artikel

Israel will seine Leute wieder – tot oder lebendig

Allen israelischen Regierungen war die Befreiung von gefangenen Israelis so wichtig, dass sie zu allen Kompromissen bereit war. Ausnahme waren Entführungen, bei denen der Aufenthaltsort der Geiseln bekannt war und es eine Chance für eine gewaltvolle Befreiungsaktion gab

JERUSALEM taz ■ Die Befreiung von gefangenen Soldaten aus der Haft von Feinden hat in Israel eine große Tradition. Und sie hat auch eine klare Botschaft der israelischen Armee an ihre jungen Rekruten: Niemand wird auf feindlichem Boden zurückgelassen, weder lebend noch tot. Israel war bislang stets bereit, einen hohen Preis für Geiseln zu bezahlen, auch wenn es sich um Zivilisten handelte. Ausnahme waren Entführungen, bei denen der Aufenthaltsort der Geiseln bekannt war und es deshalb eine Chance für eine gewaltvolle Befreiungsaktion gab.

Die beiden größten Gefangenenhandel fanden in den 80er-Jahren statt: Im November 1983 wurden über 4.700 Sicherheitshäftlinge entlassen im Gegenzug für sechs israelische Soldaten, die ein Jahr zuvor in die Hände der Fatah gefallen waren. Im Mai 1985 kam es zu dem bekannten „Jibril-Deal“, bei dem drei israelische Kriegsgefangene gegen 1.150 palästinensische Häftlinge getauscht wurden.

Anfang der 90er-Jahre zog die israelische Armee sogar aus, um per gezielte Entführungen Verhandlungen erst möglich zu machen. Die beiden Libanesen Mustafa Dirani und Scheich Obeid wurden von einem israelischen Sonderkommando festgenommen, weil sie im Verdacht standen, den seit 1986 vermissten israelischen Navigator Ron Arad zumindest vorübergehend in ihrer Macht gehabt zu haben. Aus dem Handel wurde nichts, trotzdem hält Israel die beiden Libanesen als Faustpfand noch immer fest.

Der Name Arad kam bei dem letzten Gefangenenaustausch vor zwei Jahren erneut auf, als mit Hilfe deutscher Vermittlung der israelische Drogenhändler Elchanan Tennenboim und die sterblichen Überreste dreier Soldaten gegen 436 überwiegend palästinensische Häftlinge ausgetauscht wurden. Handelspartner war die libanesische Hisbollah. Israel machte weitere Angebote für Informationen um den Verbleib Arads, die die Hisbollah indes nicht liefern konnte.

Die wohl bekannteste Befreiungsoperation ereignete sich im Sommer 1976. Damals hielt ein gemeinsames Terrorkommando der PFLP (Volksfront zur Befreiung Palästinas) und der deutschen „Revolutionären Zellen“ rund 100 Juden und Israelis in einem französischen Airbus fest, den sie zuvor nach Entebbe entführt hatten. Jitzhak Rabin, der 1976 über den harten Kurs mit den Entführern entschied, war erneut Regierungschef, als im Oktober 1994 der Soldat Nachshon Wachsmann in das Auto seiner palästinensischer Entführer stieg, die sich als religiöse Juden verkleidet hatten. Die Befreiungsaktion Wachsmanns endete blutig. Wachsmann, ein Offizier und drei Entführer starben. Rabin hatte der Forderung der Entführer auf Entlassung palästinensischer Häftlinge, darunter Hamas-Gründer Scheich Achmad Jassin, zu entlassen, nicht nachkommen wollen.

Die Ironie des Schicksals wollte es, dass Jassin 1997 später auf Drängen der jordanischen Regierung doch auf freien Fuß kam, nachdem der israelische Mossad ein missglücktes Attentat auf Khaled Mashal verübt hatte. Kein anderer als Khaled Mashal wiederum, heute in Damaskus ansässiger Chef der Hamas, gab den Guerillas in Gaza grünes Licht für die jüngste Entführung von Gilad Shalit. SUSANNE KNAUL