: Drachen mögen keine Randbebauung
LUFT Grischa König betreibt eine Drachenschule auf dem Tempelhofer Feld. Wenn dort gebaut wird, erwartet er Probleme mit der Windqualität. Regeln für Windnutzer gibt es auf dem Feld noch nicht
„Ab elf Windstärken lasse ich meinen Schrank fliegen“, sagt Grischa König. Er steht bei „Flying Colours“ in Schöneberg hinter der Ladentheke, an jeder Wand hängen Drachen in allen Formen und Farben, ein buntes Durcheinander. Der Spruch des Verkäufers ist nur ein halber Scherz: Wenn der Wind stark genug sei, hebe jeder Kite ab, erklärt König, selbst ein billiger „Aldi-Bomber“. Über Wind weiß der gelernte Tischler Bescheid, und Drachen sind seine Passion. Seit über zehn Jahren fliegt er Lenkdrachen, seit einiger Zeit betreibt er eine Drachenschule auf dem Tempelhofer Feld.
Lenkdrachen als Hobby seien seit der Eröffnung der Parks sichtbarer geworden, erzählt König. Parkbesucher sähen dort erfahrene Trickflieger und wollten ihnen nacheifern – am liebsten freilich mit preisgünstigem Material. Und die Billig-Kites, die die Discounter im Herbst auf den Markt werfen, würden bei mäßigem Wind einfach nicht abheben. König hat auf dem Tempelhofer Feld schon oft Väter beobachtet, die ihre Kinder anschreien, weil der Drachen nicht tut, was er soll. Aber das kann auch an der Jahreszeit liegen: „Der Frühling ist die beste Jahreszeit zum Kiten“, sagt König. In den Herbstmonaten gebe es zu viele Böen, die gerade Anfängern den Spaß verderben könnten.
Drachen für jeden Wind
Eigentlich müsste sich niemand ärgern. „Es gibt für jeden Wind den richtigen Drachen“, weiß Grischa König. Aber wie lange gibt es eigentlich noch den perfekten Ort? Mit der Teilbebauung dürfte sich auch für die Drachen-Fans einiges ändern. „Wenn auf dem Feld zehngeschossige Häuser gebaut werden, war’s das mit dem Wind“, so König. An den Rändern der geschrumpften Freifläche sinke die Windqualität.
Auch die Meteorologin Sahar Sodoudi von der Freien Universität geht davon aus, dass die Windgeschwindigkeit auf dem Feld durch Bebauung abnimmt. „Die Möglichkeit zum Kiting schließe ich aber noch nicht aus,“ sagt sie. Wissenschaftlich ließen sich die Folgen noch nicht genau abschätzen, eine Mikroklima-Simulation der geplanten Bebauung sei in Arbeit.
Drachenspezialist König erwartet, dass über den Häusern eine Luftwalze entsteht, die für starken Wind in Bodennähe sorgt. Daraus resultiere dann böiger, instabiler Wind in höheren Schichten. Um noch genug abzubekommen, müssten sich alle Windsportler in Richtung Feldmitte verschieben, dann aber brauche es „verbindliche Regeln für alle Windnutzer“. Die gibt es im Moment nicht. Vor Ort entscheiden die Sicherheitsleute von der Parkaufsicht, die Parkordnung der Grün Berlin GmbH geht auf Windsportarten gar nicht ein.
Parkmanager Michael Krebs nimmt das Aufsichtspersonal in Schutz: Dessen Entscheidungen basierten auf gesundem Menschenverstand. Zudem sei die Parkordnung im Fluss: „Es macht keinen Sinn, von vornherein jede denkbare Nutzung zu reglementieren.“ Grenzen müssten Windnutzern gesetzt werden, wo sie Dritte gefährdeten: „Aktivitäten mit hohem Gefährdungspotenzial sind in den meisten Fällen so offensichtlich, dass sie zweifelsfrei als solche eingeordnet werden können.“
Grischa König wundert sich, dass die Parkaufsicht einschreitet, wenn ein professioneller Powerkiter mit seinem Board in die Luft geht – Sprünge bis zu drei Metern Höhe bekommen die zustande. Dürfte der Kiter denn einen Meter hoch springen? Oder doch zwei? Wer weiß: Vielleicht beseitigen am Ende die Betonmischer solche Zweifelsfälle.
PAVEL LOKSHIN