: Aus! Aus! Der Traum ist aus!
NIEDERLAGE Erst ist Ghana cool. Dann ist Ghana draußen. Im panafrikanischen Viertel von Johannesburg herrscht Fassungslosigkeit. Protokoll einer denkwürdigen Nacht
Ausländerfeindliche Ausschreitungen in Südafrikas Townships haben ihr erstes Todesopfer während der WM gefordert. In Primrose im Township Malvern bei Johannesburg wurde am Freitag ein Simbabwer getötet. Der 31-jährige Charles Machingauta lief auf der Straße und beantwortete sein Handy in der simbabwischen Shona-Sprache, als fünf Angreifer ihn packten und erstachen. „Er wurde getötet, weil er Shona sprach“, sagt seine Angehörige Christine Charuma. „Wir wollen jetzt seine Leiche nach Simbabwe bringen.“
■ In Lusaka im Township Mamelodi bei der Hauptstadt Pretoria wurden mehrere Familien bedroht und flohen. Brighton Mashamba, ein simbabwischer Taxifahrer, reiste am Samstag zurück sein Heimatland. „Die Schläger haben meine Hütte zerstört, meinen Fernseher, mein Bett und meine anderen Wertsachen“, erzählt er. „Ich halte es nicht mehr aus.“
■ Liziw Munyoro, Mutter von zwei Kindern, erzählt, wie eine Gruppe von 12 Südafrikanern am Mittwochabend ihre Hütte überfielen und ihr bedeuteten, sie und ihr Mann sollten das Township verlassen, bevor ihnen ein „Unglück“ passiert. „Sie sagten, wir nehmen ihnen die Arbeitsplätze weg. Mein Mann ist Taxifahrer“, sagt sie.
■ Kelvin Nyirenda hat sich ebenfalls auf den Weg in sein Heimatland Malawi gemacht. „Ich bin oft bedroht worden. Ich möchte nicht mit meinem Leben spielen.“
■ In Braamfontein bei Johannesburg, wo zahlreiche Migranten leben, randalierten Fußballfans aus verschiedenen afrikanischen Ländern nach Ghanas Niederlage. Sie schlugen die Fenster des portugiesischen Restaurants ein, in dem sie das Spiel verfolgt hatten, und warfen mit Möbeln und Bierflaschen um sich. Penn Tango aus Kamerun sagt: „Ist Afrika ein verfluchter Kontinent? Ich weiß es nicht. Oder Gott ist nicht auf unserer Seite.“ SAVIOUS KWINIKA
AUS JOHANNESBURG MARTINA SCHWIKOWSKI
Das Eckcafé steht Kopf in Gelb-Rot-Grün. Mehr ist in dem winzigen Raum von „The African Corner“ nicht zu sehen. Ein Pulk ausgeflippter Ghana-Fans steht dicht gedrängt, ein schwitziger Fan-Leib drückt den nächsten. Wild und optimistisch starren sie im Landesfarben-Outfit auf den Bildschirm. „Go, Baghana, go!“ Das Mantra hallt durch die kalte Nacht in Yeoville, dem quirligen Mikrokosmos des afrikanischen Kontinents im Herzen Johannesburgs. Überzeugte Ghana-Anhänger tanzen draußen. Die Nacht gehört ihnen. „No worries, my sister!“ rufen sie mit breitem Lachen, „Ghana wins!“
Ghana schießt, der Ball landet im Netz. Wie besessen rennen die Fans auf die Straße: Rocky Street, der abgetakelte Vergnügungsstrip von Yeoville, wird Partymeile. Das Hupkonzert übertönt die Vuvuzelas, verrückte Fahrer rasen auf tanzende Mengen zu, stoppen vor ihren Zehenspitzen. Ihre Autos sind mit riesigen Ghana-Flaggen behängt wie Särge. Und mit Fans. Wortfetzen in allen Sprachen Afrikas werden mit Bier hinuntergespült.
Wenig später herrscht entsetzte Stille unter dem riesigen Strohdach im kongolesischen „Village Kin-Malebo“ am Straßenrand. Abdul Gani ist steif vor Schreck, Uruguay hat den Ausgleich geschossen. Seine Freunde senken die Köpfe „Mon Dieu!“, brüllen die Kongolesen. Aber Robert Nkongoco aus Kinshasa grinst: „No worries, sister.“
Der junge Kongolese hat beruhigende Wirkung. „Voilà, merci“: Er klatscht, der Pass ist gelungen, Hände wedeln der Leinwand entgegen, auf der sich das Fußballdrama abspielt. Dann reißt für ein paar Minuten das Kabel zum Diaprojektor ab. Ein Äthiopier steht mit großen Augen auf den hinteren Stühlen, singt auf Swahili und reicht die geballte Faust zum afrikanischen Super-Gruß entgegen. Er blinzelt: „We are cool, my sister!“
Kurz vor Abpfiff geht ein Ruck durch die Fan-Familie, Füße springen auf Tische, Flaschen kreisen in der Luft, Bier duscht die Zuschauer, aber plötzlich sacken Hände schlaff auf den Kopf: Das uruguayische Handball verhindert Ghanas Führungstor in der Schlussminute, „Rouge!“, die Rote Karte, fordern die afrikanischen Fans bei Kin-Malebo. Blanchard Kimuena reibt sich die Hände, trippelt bei Gyans Anlauf für den Elfmeter mit, der den Sieg für Ghana bedeutet hätte. Der Ball knallt an die Latte, Blanchard dreht sich weg.
„Uncle Ben“, das ghanaische Ein-Raum-Restaurant neben Blanchards Telefonshop, hat längst das Kochen eingestellt. „Uncle Ben“ steht vor der Wand und betet, er wippt seinen Kopf ständig vor und zurück. Die Nerven liegen blank, jetzt auch bei Kin-Malebo. „Waka Waka“, dröhnt Shakiras WM-Song aus den Lautsprechern, zur Aufmunterung. Die Fans singen. Schweigen. Die Tore fallen, Ghana gerät in Rückstand. Vor dem letzten Elfmeter Uruguays steht einer auf und geht. Er kann es nicht mehr aushalten. Der Ghanaer Aziz Ismael zerknüllt fast seine Ghana-Fahne. Dann wird es still. Alle sind in einer Minute verschwunden. Einfach weg.