: „Er ist der Leader, ich lerne“
Wie gewinnt das deutsche Team gegen Argentinien? Und was ist, wenn nicht? Kein Thema, findet Co-Trainer Joachim Löw
INTERVIEW MARKUS VÖLKER
taz: Herr Löw, Sie sind oft der dominante Mann auf dem Trainingsplatz. Heißt das, dass Sie der heimliche Bundestrainer sind?
Joachim Löw: Nein, ich lerne viel von Jürgen Klinsmann. Er ist der Leader der Gruppe und delegiert sehr gut.
Was lernen Sie von ihm?
Jürgen Klinsmann hat immer klare Vorstellungen und sehr konkrete Ziele. Er will das höchste Ziel anstreben, das es gibt: die Weltmeisterschaft. Das will ich auch. Und er ist konsequent in seiner Denkweise. Er hat auch eine hohe Akzeptanz in der Mannschaft, weil er schon einige Turniere gespielt hat. Das ist für die jungen Spieler wichtig.
Sind Sie der mächtigste Assistenztrainer, den es bisher im DFB gab?
Wir arbeiten im Team. Wir fällen alle Entscheidungen irgendwie gemeinsam, weil wir fast immer deckungsgleich denken.
Klinsmann hat Sie als seinen Nachfolger ins Spiel gebracht. Wäre das was für Sie?
Ich wünsche mir, dass es in der bisherigen Konstellation weitergeht. Alles Weitere wird man sehen. Es ist wirklich so: Ich mache mir zum ersten Mal in meinem Trainerleben keine Gedanken darüber, was in zwei Wochen ist. Und das tut mir gerade sehr gut: Nicht zu denken, was wird, sondern im Hier und Jetzt der WM zu leben. Der Jürgen hat sich immer klar geäußert, erst nach der WM zu entscheiden, wie es für ihn weitergeht. Ich lass mal alles in Ruhe auf mich zukommen.
Was würde es bedeuten, wenn Klinsmann geht?
Mit diesem Thema beschäftige ich mich nicht. Für uns ist das Spiel gegen Argentinien wichtig. Aber wenn es so weit ist, werden wir, der Jürgen ist ja mein erster Ansprechpartner, darüber reden und uns fragen: Was ist erreicht worden? Welche Fortschritte haben wir gemacht? Er wird mir zuerst mitteilen, ob er weitermacht oder nicht.
Also gut, Argentinien. Warum kann die DFB-Elf als Sieger vom Platz gehen?
Argentinien hat viele Stärken und fast keine Schwächen. Aber trotzdem haben wir den Eindruck, sie besiegen zu können, weil unsere Mannschaft so motiviert ist. Zuletzt haben wir zwei gute Spiele gegen sie gemacht. Sie sind schlagbar!
Es kam in diesen Partien jeweils ein Remis heraus. Das wäre am Freitag zu wenig.
Bei diesen Unentschieden hat man gesehen, dass man gegen die Argentinier über 90 Minuten kaum einen Fehler machen darf, dass man nicht nachlassen darf, wenn man in Führung geht, weil sie das Tempo variieren können. Man spürt immer: Wenn sie in Rückstand geraten, können sie enormen Druck ausüben. Wir hatten ja in unseren WM-Spielen auch Phasen gehabt, in denen wir die Kontrolle etwas verloren haben. Ob das gegen Costa Rica war oder gegen Ecuador. Das hat uns nicht wehgetan. Aber die Argentinier können uns wehtun. Mit Sicherheit.
Wie reagieren Sie taktisch auf das Spiel der Argentinier?
Wir werden uns nicht nur auf Riquelme einstellen. Sie haben mehrere Spieler, auf die wir achten müssen.
Wen?
Sorin zum Beispiel. Und hier sehe ich eine wichtige Entwicklung in diesem Turnier: Die Mannschaften, die starke Außenverteidiger haben, haben Erfolg. Sie können in der Offensive Überzahl schaffen und sind sofort wieder in der Defensive präsent.
Was haben Sie noch bei dieser WM beobachten können?
Ich habe Spiele gesehen, die waren absolut schwach, auf keinem hohen Niveau. Aber in der Vorrunde gab es schon ein paar interessante Partien. Festzustellen war, dass viele Mannschaften offensiv nach vorne gespielt haben, selbst die Asiaten und Afrikaner. Das Tempo war ganz gut, auch in den Nachmittagspartien.
Argentinien legt viel Wert auf Ballbesitz, ist das auch ein WM-Trend?
Argentinien spielt zunächst einmal schneller als beispielsweise Brasilien, die auch manchmal 30, 40 Ballkontakte haben, sich aber dabei nicht viel bewegen. Die Argentinier bewegen sich noch dazu. Klar, sie spielen auch mal hinten rum, aber sie können blitzartig in die Spitze hineinspielen, mit vier, fünf beweglichen Spielern kommen sie dann, mit Messi und Tevez. Dann spielt Riquelme den Pass. Sie können unheimlich schnell umschalten. Argentinien ist die Mannschaft, die das am besten kann.
Was ist heute anders als beim 2:2 im Confed Cup vor einem Jahr?
Wir können jetzt 90 Minuten hohes Tempo gehen und Pressing spielen. Du musst ständig wie ein Bienenschwarm draufgehen und die Argentinier stören. Wir müssen ihnen auf die Nerven gehen, ihnen die Lust am Fußball nehmen. Wichtig ist, dass wir in keiner Weise nachlassen.
Was heißt das genau?
Wir haben Ansatzpunkte, die Argentinier zu knacken. Gegen Schweden hat es auch geklappt. Da hat Urs Siegenthaler …
… der Chefscout des Nationalteams …
… er hat genau die Schwächen im defensiven Mittelfeld ausgemacht, die wir ausgenutzt haben. Genau in diesen Schwächezonen haben wir die Schweden gepackt. Und die haben keine Lösung gefunden. Es war auch kein Zufall, dass wir 22 Schüsse abgegeben haben, außerhalb vom 16er. Das war so gewollt. Aber Argentinien kann sich besser wehren. Die finden Lösungen.
Das klingt aber nicht gut.
Doch, die Mannschaft ist jetzt in der Lage, Argentinien zu schlagen. Allerdings müssen wir sehr hochtourig laufen und eine exzellente Tagesverfassung zeigen. Die Chancen stehen fünfzig zu fünfzig. Okay, in den letzten Jahren waren sie stärker als wir, aber dieses Turnier ist anders.
Bisher läuft alles nach Plan. Vier Siege, gute Stimmung. Wie kommt’s?
Wir haben keine größeren Konflikte und Spieler, die charakterstark und zuverlässig sind. Es geht ja nicht nur um die sportliche Seite. Die hohen physischen Belastungen zahlen sich aus, okay, aber die Gruppe funktioniert auch so. Die Spieler genießen die Freiheiten und die Abwechslung, die wir ihnen auch mit den verschiedenen Destinationen Sardinien, Genf und Berlin ermöglicht haben. Außerdem sind wir kommunikativ. Jeder Spieler kann jederzeit zu uns kommen. Selbst die Bankspieler geben der Gruppe viel Energie.
Was heißt das?
Dass sie im Training viel Druck machen. Dass sie über ihr Verhalten Unterstützung signalisieren. Das macht auch ein Oliver Kahn mit einem Jens Lehmann.
Manager Oliver Bierhoff hat die Bundesliga-Trainer angeregt, die positiven Erkenntnisse der WM für sich zu nutzen. Hat er die Liga unnötig gereizt, wieder einmal?
Populistische Schwachsinnsaussagen, habe ich gelesen. Eine Aussage von Peter Neururer.
Was sagen Sie dazu?
Es gab schon Trainertagungen, wo wir unsere Konzepte vorgestellt haben. Nach der WM kann man so etwas ruhig wieder machen. Wir geben die Erfahrungen von diesem Turnier gern weiter. Es geht ja nicht um das Springen über Gummireifen oder das Rumlaufen mit Bändern und Zugschlitten, wie das populistisch dargestellt wird, sondern um Anregungen – für die Ausbildung der Spieler, Fortbildung der Trainer und Entwicklung einer eigenen Philosophie, um den deutschen Fußball mit deutschen Spielern zu fördern. Was bringt es, mittelmäßige Ausländer zu kaufen, die nur viel Geld kosten? Ein anderes Beispiel: Manche Bundesligavereine streichen den Techniktrainer, weil er zu viel Geld kostet. So etwas ist absolut daneben.
Sie reden gern von einer einheitlichen Philosophie. Ist dieser Ansatz bereits so weit im Nationalteam verankert, dass er unabhängig von Personen fortgeführt werden kann?
Der Spielstil ist noch nicht so gefestigt. Die Mannschaft hat das noch nicht vollkommen verinnerlicht. Das kann man auch nicht erwarten. Wenn ein anderer Trainer kommt, dann hat er sicher andere Vorstellungen.
Wer garantiert Kontinuität?
Ich sage es mal bildhaft: Was nutzt es, wenn man die Noten lesen, aber nicht Klavier spielen kann. Es hängt von den Leuten ab, die dann in der Verantwortung sind. Das Ziel muss es sein, sich dauerhaft in der Weltspitze zu etablieren und ständig junge Spieler ranzuführen an die Nationalmannschaft. Es gibt ja genügend gute Beispiele.
Wo denn?
In der Schweiz zum Beispiel weiß ein U15-Spieler, was oben in der A-Auswahl gefordert ist, der kennt die Grundprinzipien. Und die Argentinier haben ihre U20 mit bei dieser WM. Das ist Zukunftsplanung. Die werden jetzt schon vorbereitet, um 2010 oder 2014 Weltmeister zu werden.
Aber wenn das so ist, kann Klinsmann doch nicht gehen?
Es wäre schade, sicherlich. Warten wir mal ab.