KANDINSKYS KLO
: Für große Jungs

Eine sehr kleine Frau öffnete die Tür

Ich musste mal. Für große Jungs. Ich nahm den M41er Bus zum Hauptbahnhof, dort kaufte ich mir ein Zugticket nach Dessau (mit dem IC nach Bitterfeld und von dort aus weiter mit der Regionalbahn). Als ich in Dessau war, drückte es schon ziemlich und ich sah zu, dass ich meine Schritte etwas beschleunigte. Kein Mensch nirgendwo zu sehen. Mit Dessau steht es schlecht. Aber ich bin sicher, dass sich alle die größte Mühe geben, das zu ändern.

Ich ging die Bauhausstraße entlang, unter dem Direktorenzimmer hindurch und bog rechts in die Gropiusallee und an der ersten Kreuzung links in die Ebertallee. Nach etwa 150 Metern kam ich zu den Meisterhäusern von Paul Klee und Wassily Kandinsky. Ich klingelte. Eine sehr nette, sehr kleine Frau öffnete die Tür, ließ mich herein, und ich löste bei ihr eine Eintrittskarte. Die Beine schon eng zusammengekniffen, schaffte ich es gerade noch durch Wassilys Wohnzimmer zu Wassilys Toilette, die sich auf dem Flur im Erdgeschoss befand. Ich ließ die Hosen runter und entspannte mich. Die Toilette war vom Badezimmer im ersten Stockwerk, in dem sich eine Badewanne befand, getrennt. So konnte Wassilys Frau Nina oben in aller Ruhe ein Bad nehmen, während der Großmeister unten das tat, was ein Mann eben tun musste und was auch ich jetzt tat: für große Jungs.

Ich wusch mir die Hände, später ging ich den Weg zurück zum Bahnhof und fuhr wieder nach Berlin. Ich erwischte den M41er Bus mit demselben Fahrer wie einige Stunden zuvor. Zu Hause in Kreuzberg angekommen, ließ ich mir ein heißes Schaumbad ein. Und als genügend Wasser in der Badewanne war und der Schaum schon beinahe den Rand erreicht hatte, zog ich mich aus und stieg hinein. „Danke, Wassily“, dachte ich, „Toilette und Badezimmer getrennt, das ist schon was.“ Und ich genoss mein erstes ausgiebiges Bad des Jahres. TOBIAS PREMPER