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Archiv-Artikel

Rückfall im Museum

Eineinhalb Jahre nach seiner Entlassung aus der Psychiatrie hat „Kunstschänder“ Hans-Joachim B. ein Gemälde beschädigt. Ein Gespräch mit Guntram Knecht, Leiter der Forensik in Hamburg-Ochsenzoll

Interview: ELKE SPANNER

Herr Knecht, Ihr langjähriger Patient Hans-Joachim B. hat in Amsterdam wieder mit Säure ein Kunstwerk attackiert. Hat Sie diese Nachricht schockiert?

Guntram Knecht: Nein. Es gab ein nicht unerhebliches Risiko, dass er wieder rückfällig wird. Die Entlassung ist damals aus formaljuristischen Gründen erfolgt. Jetzt ist eingetreten, was alle Psychiater skizziert hatten.

Warum wurde er entlassen?

Das Anlassdelikt für die Inhaftierung war Sachbeschädigung. Das gilt als nicht gravierend genug, um jemanden mehr als 15 Jahre im Maßregelvollzug unterzubringen. Unabhängig vom Gefährlichkeitsgrad. Das war eine rein juristische Entscheidung.

Und die Psychiater?

Die Psychiater hatten sich alle gegen die Entlassung ausgesprochen. In seinem Entlassungsbeschluss steht ausdrücklich drin, dass das Störungsbild unverändert ist und es weiterhin zu Sachbeschädigungen kommen kann. Deshalb hatten wir gesagt: wenn die Prognose so kritisch ist, wie wir sie einschätzen, versuchen wir das Risiko so gut wie möglich abzumildern und nehmen Herrn B. in ambulante Nachsorge.

Herr B. galt immer als Beispiel für eine erfolgreiche Nachsorge.

Wir haben es deshalb als erfolgreich eingeschätzt, weil das Ausgangsrisiko so hoch war. Und so ironisch das jetzt klingen mag: Es konnte immerhin erreicht werden, dass diese eineinhalb Jahre die längste Zeit seit 1977 war, in der er nicht straffällig wurde. So eine lange Zeit ohne Rückfall gab es nie – außer natürlich während seiner Haft. Deshalb können wir ganz trocken sagen: Wir haben bei schwieriger Ausgangslage das Risiko vermindert.

Wieso dann jetzt doch der Rückfall?

Es ist etwas dazugekommen, das mit der Nachbetreuung gar nichts zu tun hat: Herr B. hat eine unmittelbare und objektiv tief greifende Lebensbelastung erlebt, die ihn offensichtlich aus der Bahn geworfen hat.

Was ist passiert?

Das darf ich Ihnen leider nicht sagen. Aber es war ein Ereignis, das ihn überfordert hat. Und damit ist das Gleichgewicht gekippt, das wir mit der Nachsorge hergestellt hatten.

Herr B. ist in Amsterdam festgenommen worden. Hätte er sich nicht in Hamburg aufhalten müssen?

Ja, es gab diese Weisung. Und er durfte eigentlich keine Museen und Kunsthallen betreten.

Hoffen Sie, dass er im Falle einer erneuten Verurteilung wieder zu Ihnen kommt?

Das ist vor allem eine juristische Entscheidung. Wir kennen ihn sehr gut. Und es gibt eine Basis, die funktioniert hat.

Die Nachsorgeambulanz ist bundesweit ein Modellprojekt. Sehen Sie jetzt die Gefahr, dass sie fachlich in Verruf gerät?

Nein. Wir sind bei der Gesamtgruppe der Ambulanzpatienten erfolgreich. Und wir sprechen hier von einem sehr anspruchsvollen Fall. Es gab ein hohes Ausgangsrisiko, und jetzt kam dieses Ereignis hinzu.

Was sagen die Therapeuten zu dem Rückfall, die ihn die vergangenen eineinhalb Jahre betreut haben?

Das wird natürlich erstmal als Misserfolg erlebt. Aufgrund der primär ungünstigen Prognose war zudem viel Arbeit zu leisten. Aber wir führen bereits eine intensive fachliche Diskussion zu diesem Sonderfall. Wenn in der Medizin mal eine Operation bei einem außergewöhnlich schwierigen Patienten nicht ganz erfolgreich ist, wird die Operationsmethode bei anderen Patienten trotzdem weiter angewandt. Und bis dato waren wir stolz, dass Herr B. straffrei geblieben war.