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Archiv-Artikel

Jukebox

Es könnte alles schlimmer sein: 22 Pistepirkko

Nein, die Leningrad Cowboys sind nicht mehr der heißeste Trash auf diesem Planeten. Was den finnischen Fake-Rock’n’Rollern und Fake-Russen aber nichts ausmacht: Sie gehen weiterhin auf Tour und erweisen immer wieder auch Berlin die Ehre, so wie an diesem Sonntag, da sie in der Kulturbrauerei auftreten. Eine gute Gelegenheit, die schon viel länger als die Leningrad Cowboys existierende, aber viel heißere und produktivere finnische Band 22 Pistepirkko zu bewerben, die sich 1989 mit ihrem damals dritten Album „Bare Bone Nest“ außerhalb Finnlands erstmals einen Namen machte – im selben Jahr übrigens, in dem Aki Kaurismäki seinen ersten Leningrad-Cowboys-Film drehte.

Als man „Bare Bone Nest“ seinerzeit das erste Mal hörte, war die Verblüffung groß: Wie der Sänger gleichzeitig so verzerrt quäken und voller Inbrunst schmachten konnte! Wie traurig das alles war, wie melancholisch. Und wie zwingend! Irgendein Blues, aber ein eigenartiger, mitunter synthetischer, von verqueren Orgeln und Keyboards unterstützter. Ein Blues, der aus der Garage kam, der tolle klassische Schmerzensbeschwörung war, wie etwa in „Don’t Go Home, Joe“ oder in „Shot Bayou“, der aber genauso toll nach vorn bollerte, so wie in „Bone Bone Baby“, in „Save My Soul“, vor allem aber in „Don’t Play Cello“ und „Frankenstein“, zwei 22-Pistepirkko-All-Time-Klassikern.

So wie es sich für richtige Schmerzensmänner gehört, wurden 22 Pistepirkko nie so groß wie die Leningrad Cowboys, haben aber eine eingeschworene Fangemeinde, die auch die Ausflüge in Triphop- und Drum & Bass-Gefilde goutierte – die dreiköpfige Band blieb sich in ihrer Liebe zum Blues, ihrer Leidenschaft für alles Melancholische trotzdem treu. Ja, sie legte vor kurzem unter dem Projektnamen The Others eine Art Werk- und Inspirationsschau vor, ein Album mit Coverversionen von den Kinks oder den Sonics etwa, von Link Wray oder den Troogs. Großes Kino aus der Welt der Garagen ist das, so wie auch die DVD „Sleep Good – Rock Well“, auf der neben Konzertmitschnitten ein Film des Dänen Andreas Haaning Christiansen über 22 Pistepirkko zu sehen ist.

In diesem sagt Sänger P-K. Keränen, nachdem es um Erfolglosigkeit gegangen ist, um eine mögliche Trennung und den Beschluss, weiterzumachen: „Mir geht es gut. Ich kann das machen, was ich gerne mache. Es könnte alles schlimmer sein.“ Dieser letzte Satz ist so traurig, schön und richtig! Und trefflich beschreibt er den Charakter von 22 Pistepirkko. GERRIT BARTELS