: Treffen trotz Zeugenschutz
PROZESS Im NSU-Verfahren räumte ein Zeuge aus Hannover Treffen mit einem Beschuldigten im Zeugenschutzprogramm ein. Für die Nebenklage ein Widerspruch zu allen Regeln des Zeugenschutzes
Holger G. ist Mitbeschuldigter im NSU-Verfahren. Außerdem ist er Belastungszeuge und im Zeugenschutzprogramm. In den vergangenen Monaten traf sich der Mann aus Lauenau dennoch mit zwei Zeugen aus Hannover. Am Mittwoch räumte einer von ihnen, Alexander S., vor dem Oberlandesgericht München ein, bei Treffen mit G. über die Ermittlungen geredet zu haben.
Nach gut zwei Wochen Winterpause war S., der Holger G. 1999 in der rechtsextremen Szene kennenlernte, als Zeuge geladen. Der Grund: Seine spätere Frau Silvia S. hatte G. bei einem „feuchtfröhlichen Abend“ ihre Krankenkassenkarte für 300 Euro überlassen. 2006 wurde sie vermutlich von der Hauptbeschuldigten Beate Zschäpe bei einer Zahnarztbehandlung genutzt.
Vor Gericht wollte S. offensichtlich nicht viel reden, sondern eher mehr verschweigen. Auf Fragen antwortete der 33-jährige Kaufmann im Groß- und Außenhandel ausweichend, so berichtete ein Mitglied der Gruppe NSU-Watch, die jeden Prozesstag wortgetreu protokolliert. Der Vorsitzende Richter fasste jedoch nach, bis S. erzählte, in einer Kameradschaft gewesen zu sein und sich mit G. angefreundet zu haben. Zeitweilig wohnten sie in Hannover keine dreihundert Meter voneinander entfernt, waren bei Aufmärschen und Rechtsrockkonzerten. Es habe viele Abende gegeben, die sie bei dem „einen oder anderen“ zu Hause ausklingen ließen, sagte S., der auch zu dem mittlerweile verbotenen Netzwerk „Blood and Honour“ Kontakte hatte.
Über die Beziehung zu dem NSU-Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe habe G. nie geredet, so betonte S. Als seine spätere Frau Holger G. die Krankenkassenkarte übergab, soll ihr dieser nicht gesagt haben, was er mit der Karte vorhatte. Das Ehepaar will aber auch nicht nachgefragt haben, sagte S., gegen den wegen des Verdachts der Bildung bewaffneter Gruppen, versuchter gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruch ermittelt wurde. Viel Alkohol und viele Drogen habe es an diesen Abenden gegeben, über Politik hätten sie sich nicht unterhalten, erzählte S. am 72. Verhandlungstag.
Bereits am 54. Verhandlungstag hatte Silvia S. fast nebenbei ausgesagt, G. mit ihrem Mann in einer Gaststätte in Isernhagen getroffen zu haben. Zwei Zivilbeamte des Bundeskriminalamtes sollen G. gebracht haben. Nun sagte Alexander S. aus, den Beschuldigten „vor zwei, drei Monaten“ in einer Eisdiele getroffen zu haben. „Nur am Rande“ hätten sie über Haft und Verhandlung gesprochen, so wollte S. glaubhaft machen.
Auf Nachfragen der Nebenklage sagte S., dass er wisse, dass G. im Zeugenschutzprogramm sei und dass das Treffen von „zwei Personen“ beobachtet worden sei. Der letzte „persönliche Kontakt habe vor sechs, acht Wochen bei G.’s Mutter stattgefunden, sagte S. Auf Nachfrage bestätigte er, dass er über SMS Kontakt mit G. hielte. Sie hätten sich über die Aussage seiner Frau und auch seine eigene ausgetauscht.
Laut Nebenkläger Alexander Hoffmann widerspricht ein Treffen mit einer im Zeugenschutz befindlichen Person mit weiteren Zeugen, „hier ja sogar Belastungszeugen“ allen „Regeln des Zeugenschutzes“. Auch aus der Politik kam wegen G.’s Verhalten Kritik. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete aus Niedersachsen, Sven Kindler, sagte, dass ein Zeuge seine früheren Kontakte beenden müsse, wenn er im Zeugenschutz sei. Außerdem sei aufzuklären, inwieweit im Beisein von Beamten gegen das Zeugenschutzprogramm verstoßen wurde. ANDREAS SPEIT