: „Die Bilder sind zu neutral“
Volker Weicker ist Regisseur und Spezialist für Live-Übertragungen. Beim WM-Finale 2002 hat er die Bilder ausgewählt. Mit der aktuellen Fußball-WM ist er unzufrieden: „Zu statische Bildsprache“
INTERVIEW SUSANNE LANG
taz: Herr Weicker, hat diese WM bereits ihre ikonografischen Bilder, die im Gedächtnis bleiben werden?
Volker Weicker: Mir ist bis dato eines in Erinnerung geblieben, als Fabien Barthez und Zinedine Zidan nach ihrem Sieg im Achtelfinale Arm in Arm lachend vom Platz gehen. Zum ersten Mal haben bei dieser WM etablierte Spieler gut und erfolgreich gespielt, und das hat man in der Emotion dieses Moments gesehen. Bisher ist das Turnier aus sportlicher Sicht ja noch nicht so toll, großen Fußball habe ich leider für eine WM noch zu wenig gesehen. Die Entwicklung der deutschen Mannschaft freut mich natürlich.
Fehlen denn dieser WM die Emotionen und die passenden Heldenbilder?
Das würde ich so nicht sagen. Jedes Spiel, auch ein schlechtes, hat seine Helden. Es hat genügend Spiele gegeben, wo sich Geschichten hätten bebildern lassen.
Welche wären das?
Zu jedem Spiel gibt es Geschichten, die am Rande stattfinden, auf der Bank oder den Rängen. Sie sind es, die ein Bildregisseur dem Zuschauer zu Hause erzählen sollte. Wir übertragen die Spiele ja nicht fürs Feuilleton oder den Sportredakteur, sondern für den Fan zu Hause. Und Begeisterung entsteht immer durch die emotionalen Bilder, ganz selten aufgrund einer rein sportlichen Situation.
Welche fallen Ihnen da spontan ein?
Franz Beckenbauer, der 1990 in Rom nach dem Titelgewinn alleine im Jubel über das Feld läuft, oder Oliver Kahn am Pfosten nach der Niederlage 2002 in Japan – das bleibt in Erinnerung. Die Bilder haben eine Aussage, in ihnen sieht man die ganze Geschichte des Turniers.
Dieses Jahr bliebe dann ein Oliver Kahn schmollend auf der Ersatzbank?
Naja, solange Jens Lehmann unfallfrei hält, gibt es immer die gleiche Kahn-Geschichte auf der Bank. Die Erzählung ergibt sich aus dem Spiel- und Turnierverlauf, darauf muss ein Bildregisseur reagieren.
Wenn Ruud van Nistelrooy auf der Bank nicht zum Zuge kommt, aber seine Teamkollegen auf dem Platz eine Chance nach der anderen vergeben?
Genau. Oder der französische Trainer, der auch etablierte Spieler draußen hat sitzen lassen. Andererseits gibt es Mannschaften wie England, die so viele Verletzte haben, dass ihnen die Stürmer ausgehen. Das kann man nicht per se sagen, aber man muss es erkennen und dann auch dokumentieren.
Was bei dieser WM aber nicht geschieht, wie Sie kritisieren.
Offensichtlich wird es nicht gewollt. Gerade dieses Jahr wird sehr total fotografiert, da haben die Zuschauer zu Hause – und nicht jeder hat den neuesten Fernseher – teilweise echt Schwierigkeiten. Die Übertragung ist zu total.
Was spricht denn dagegen?
Ich bin für sehr emotionale Spielübertragung, weil ich weiß, dass es das ist, was Zuschauer am Sport fesselt. Hier legt man jedoch Wert darauf, ein sehr neutrales, für alle Länder gleichmäßig geltendes Bild zu produzieren: überall derselbe Rasen, Rasenschnitt, dieselbe Werbung. In diesem Einheitslook trägt sich dann ein Fußballspiel zu. Das finde ich schade.
An wem liegt das, an den Fernsehsendern oder an der HBS, der Produktionsfirma, die das meiste Bildmaterial liefert?
Die deutschen Sender haben ja zusätzlich Kameras am Spielfeldrand stehen und schneiden ab und an Bilder dazwischen. Prinzipiell gilt aber die Ansage der HBS, die keine Spielunterbrechung in den Bildern wünscht, solange der Ball rollt. Das führt zu einer relativ und meiner Meinung nach zu statischen Bildsprache. Auf lange Sicht wäre es sehr schade, wenn man dem Sport die Emotionen nimmt, die er doch hat.
Wie ist es mit den Spielern, reagieren die auf endlose Bildschleifen von Traumtoren, indem sie die Tore imitieren wollen?
Auch wenn das immer wieder kolportiert wird, kein Spieler will ein Tor auf eine bestimmte Weise schießen, um eine größere Medienwirksamkeit zu erzielen. Das ist Quatsch. Spieler sind ja keine Roboter. Aber jeder, der da ein Trikot anhat, egal welcher Nation, will das Tor seines Lebens schießen, und das ist ja auch ihr Job. Imitieren wollen höchstens Hobbykicker, die dann samstags mit dem dicksten Bierbauch den schönen Freistoß oben in den Winkel schießen wollen. Spieler wollen den Ball reinmachen, sonst nichts. Und manchmal haben sie Glück, wie zum Beispiel Philipp Lahm, und sie treffen traumhaft.
Welches Bild eines Traumtors oder großer Emotionen wünschen Sie sich aus dem Viertelfinale heute gegen Argentinien?
Ein entscheidendes Tor für Michael Ballack. Außerdem fände ich es gut, wenn Miroslav Klose oder Bastian Schweinsteiger etwas Außergewöhnliches gelänge – Lukas Podolski hat ja schon seinen Erfolg.
Eigentlich ist das doch ein Traumspiel für einen Bildregisseur, oder?
Klar, und ich hoffe, dass man heute mutiger ist. Aber wie ich auch von vielen Kamerakollegen höre, die bei der WM arbeiten, wird sehr darauf geachtet, neutral zu bleiben.
Also auch heute ein Beckenbauer auf der Tribüne?
Ja, Beckenbauer und Blatter, die darf man immer zeigen. Bei Merkel wird im internationalen Bild schon stärker überlegt, wie oft man sie einblendet.