: 90 Minuten … mit dem Kaiser
Er menschelt und sagt Sätze wie „der Weltcup ist dann schon unterwegs Richtung Mond“
Der Kaiser ist nicht groß. Schmal ist er und kleiner als 1,80 Meter. Als er vor den Journalisten steht, müssen die wenigsten zu ihm aufschauen. Dann setzt er sich und ist nun größer als alle anderen. Die anderen sitzen unten im Saal der Pressekonferenz. Franz Beckenbauer sitzt auf dem Podium. Er ist gekommen, um der Presse seine WM-Eindrücke zu schildern. Leider kann er sich nicht an alles erinnern, was er sah. Bei 38 von bislang 46 Spielen war er persönlich anwesend. „Das kannst du dir nicht alles merken“, sagt er. Der Kaiser ist kein Gott, er menschelt.
Der Kaiser ist auch kein Genie. „Sepp Blatter ist ein Genie“, meint er. Der Fifa-Präsident hatte am Vortag für Aufsehen gesorgt, als er sagte: „Franz Beckenbauer will nicht Fifa-Präsident werden, er kann es auch gar nicht.“ Ob er beleidigt deswegen sei? Nein, es habe sich um ein Missverständnis gehandelt, klärte er auf. Blatter habe gemeint, aus zeitlichen Gründen könne Beckenbauer das Amt nicht annehmen. „Trotzdem hat Blatter Recht. Ich kann es wirklich nicht“, sagt der Kaiser plötzlich. Als Fifa-Präsident müsse man viele Sprachen sprechen können. „Der Sepp Blatter spricht fünf, sechs Sprechen, und ich kann nur Deutsch, Bairisch und ein bisschen Englisch.“ Wieder menschelt es in den Katakomben des Olympiastadions.
Dann kommen diese großen Sätze. „So hat sich der liebe Gott die Welt vorgestellt“, sagte er. Er bezog sich auf die Fan-Feste, wo Menschen „aller Rassen“ friedlich miteinander umgingen. Der Fußball spiele hier eine Vorreiterrolle. Denn noch sei die Menschheit nicht so weit, dass sich alle mögen. „Weil wir erst am Anfang der Evolution stehen, das dauert noch mehrere 100.000 Jahre.“
Er wirkt ernst, beinahe sieht er ein wenig traurig aus. Zehn Tage dauert sie nur noch, die WM. Ist ihm schon ein wenig wehmütig zumute, weil es bald zu Ende sein wird mit der guten Stimmung im Lande? Hier die kaiserliche Antwort: „Wenn die WM am 10. Juli Vergangenheit ist, sollten wir nicht zurückblicken. Wir leben in der Gegenwart. Der Weltcup ist dann schon unterwegs Richtung Mond und einen Monat später wird er unser Sonnensystem verlassen haben. So ist das.“ Schweigen im Saal. Wow!
Dann muss der Kaiser noch urteilen. Milde richtet er über das Niveau der bisherigen Spiele. „Insgesamt recht gute Spiele“ hat er gesehen. Jetzt wird fleißig gemurmelt zu Füßen des Kaisers. So richtig will keiner glauben, dass Franz der Große wirklich so denkt. Der Saal beruhigt sich wieder. Man erinnert sich. Der Kaiser hat eben selbst gesagt: „Das kannst du dir gar nicht alles merken.“ Jetzt erhebt er sich, der Kaiser. Männer mit Kameras stürmen auf ihn zu. Sein Gesicht leuchtet. Sind es die Scheinwerfer? Oder etwas anderes? Jetzt lächelt er. Ist die Evolution doch schon weiter, als der Kaiser denkt? ANDREAS RÜTTENAUER