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Archiv-Artikel

Falsche Protokolle retten RZ nicht

Die Revision von zwei Mitgliedern der Revolutionären Zellen beim Bundesgerichtshof scheitert. Denn die Karlsruher Richter urteilen: Nachweislich falsche Angaben in einem Sitzungsprotokoll dürfen auch nachträglich noch berichtigt werden

„Es ist ein Rechts-missbrauch, wenn man der Unwahrheit zum Sieg verhilft“

AUS KARLSRUHE CHRISTIAN RATH

Fast hätte der jahrelange Prozess um die Berliner Gruppe der Revolutionären Zellen (RZ) neu aufgerollt werden müssen. Aber nur fast. Denn die Argumentation der Verteidigerinnen Andrea Würdinger und Stefanie Schork erschien dem Bundesgerichtshof (BGH) dann doch zu grotesk. „Sie versuchen hier, einen Freispruch um jeden Preis zu erzielen und ein Ende des Verfahrens hinauszuzögern“, sagte der offensichtlich verärgerte Richter Klaus Tolksdorf bei der Urteilsverkündung.

Die heute 60-jährige Sabine Eckle und der 57-jährige Harald Glöde waren im März 2004 vom Berliner Kammergericht wegen Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung „Revolutionäre Zellen“ verurteilt worden. Die konkreten Attentate und Anschläge – unter anderem schossen RZ-Mitglieder dem Leiter der Berliner Ausländerbehörde 1986 in die Beine – waren bereits verjährt. Doch auch die bloße RZ-Mitgliedschaft brachte ihnen und drei weiteren Angeklagten Gefängnisstrafen bis zu vier Jahre und drei Monate ein.

In der Revision vor dem BGH machten die Anwältinnen geltend, dass die Angeklagten laut Sitzungsprotokoll zeitweise ohne Verteidiger im Berliner Gerichtssaal saßen. Bei Sabine Eckle habe es sich um drei Minuten gehandelt, Harald Glöde sei sogar während einer ganzen Zeugenvernehmung trotz Anwaltszwang auf sich allein gestellt gewesen. Nach der strengen Strafprozessordnung müsste deshalb eigentlich der ganze Prozess wiederholt werden. 173 Verhandlungstage, die sich über fast drei Jahre hinzogen, wären vergebens gewesen.

Tatsächlich handelte es sich aber um Protokollfehler, wie sich später anhand von Mitschriften der Verfahrensbeteiligten rekonstruieren ließ. Doch Anwältin Schork lehnte eine Berichtigung des Protokolls ab und verlangte weiterhin eine Prozesswiederholung. „Es verstößt gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens, wenn ein Gericht einfach das Protokoll ändern kann, um den Erfolg der Revision zu verhindern.“ Bundesanwalt Joachim Lampe hielt dem entgegen, dass das Protokoll nun einmal nachweislich falsch gewesen sei – was auch die Verteidigerinnen nicht bestritten. „Gegen missbräuchliche Änderungen des Sitzungsprotokolls können Angeklagte ja immer noch Rechtsmittel einlegen“, beruhigte Lampe.

Der BGH folgte nun der Bundesanwaltschaft und berichtigte das Protokoll im Fall Eckle sofort. Hier hatte die Protokollantin eine Uhrzeit falsch abgetippt. Das Protokoll sei dadurch in sich widersprüchlich gewesen, so die Richter. Im Fall Glöde wird am 11. August weiter verhandelt, doch auch hier machte das Gericht den Anwältinnen wenig Hoffnung. „Es ist ein Rechtsmissbrauch, wenn man sehenden Auges der Unwahrheit zum Sieg verhilft“, sagte Richter Walter Winkler. Der Große Senat des BGH berät gerade grundsätzlich über die Frage, ob Sitzungsprotokolle nach Erhebung einer Rüge noch geändert werden dürfen. Zulässig ist dies bisher nur, wenn das Protokoll offensichtlich widersprüchlich ist.

Am Ende der Urteilsverkündung appellierte der Senatsvorsitzende Klaus Tolksdorf an die Anwältinnen, sich künftig auf den Schutz vor falschen Urteilen und Verfahrensfehlern zu konzentrieren. Tolksdorf wurde bekannt, weil er 2004 die Verurteilung des vermeintlichen Terrorhelfers Mounir al-Motassadeq aufgehoben hatte. (Az.: 2 StE 11/00-2)