: Minister hinter Gittern
Der Einmarsch der israelischen Armee in den Gazastreifen ist auch in Israel umstritten. Rund ein Drittel der Hamas-Minister wurde verhaftet
AUS JERUSALEMSUSANNE KNAUL
Im Schatten der israelischen Invasion der israelischen Armee in den Gaza-Streifen ist rund ein Drittel der palästinensischen Minister verhaftet worden. Mehrere Sonderkommandos der israelischen Armee zogen gestern im Morgengrauen aus, um über 60 führende Mitglieder der Hamas im Westjordanland festzunehmen. Die Verhafteten sollen möglicherweise als Tauschpfand für den seit vergangenen Sonntag entführten israelischen Soldaten Gilad Schalit herhalten. Er befindet sich, Bekennernotizen zufolge, in den Händen von Hamas-Aktivisten. Die zweite israelische Geisel, ein 18-jähriger jüdischer Siedler, der ebenfalls seit Sonntag als vermisst galt, wurde gestern früh tot aufgefunden.
Noch am Mittwoch waren die dem palästinensischen Volkswiderstands-Komitee angehörenden Entführer des Jungen mit dessen Ausweis vor die Presse gegangen und drohten, „ihn vor laufenden Kameras zu schlachten“, sollte sich die israelische Armee nicht umgehend aus dem Gaza-Streifen zurückziehen. Zu diesem Zeitpunkt war der 18-jährige jedoch schon drei Tage tot.
Unterdessen tauchten einige Mitglieder der noch nicht verhafteten politischen Hamas-Führung ab. Der palästinensische Vize-Premierminister Nasser Schaer hatte die geplante Massenverhaftung offenbar kommen sehen und brachte sich rechtzeitig in Sicherheit. „Niemand ist immun“, ließ der israelische Infrastruktur-Minister Benjamin Ben-Elieser durchblicken – und deutete damit an, dass auch der palästinensische Regierungschef Ismail Hanija auf Israels Liste der Gesuchten steht. Trotz der Invasion Israels in den Gaza-Streifen fanden die bisherigen Verhaftungen ausschließlich im Westjordanland statt. Hanija lebt in einem Flüchtlingslager unweit der Stadt Gaza.
Die israelischen Truppen stehen zudem zum Einmarsch in den nördlichen Gaza-Streifen bereit. Der südliche Bereich, in dem der entführte Israeli vermutet wird, ist seit Mittwoch militärisch besetzt. Erklärtes Ziel der Operation „Sommerregen“ ist die Befreiung des Gefreiten Schalit. Die Invasion im Norden hat indes nichts damit zu tun, sondern gilt dem andauernden Raketenbeschuss vor allem auf die israelische Stadt Sderot. Die israelische Armee forderte per Flugblätter die Bevölkerung im nördlichen Gazastreifen dazu auf, die Region zu verlassen, um nicht unter Beschuss zu geraten.
In Israel beginnt unterdessen das schmerzliche Erwachen aus dem Traum, der einseitige Abzug aus den seit 1967 besetzten Gebieten könnte Sicherheit und Frieden bringen. Niemand solle sich der Illusion hingeben, so schreibt Sever Plotzker in seinem Kommentar für die auflagenstärkste israelische Tageszeitung Yedioth Ahronoth, dass die Armee „den entführten Soldaten bald findet“. Die Suche werde lange dauern und noch länger „die Suche nach den Absendern der Kassam-Raketen“. Zehn Monate nach dem einseitigen Abzug aus dem Gaza-Streifen steckt die israelische Armee wieder mitten im ungemütlichen Feindesland.
Sosehr die israelische Bevölkerung mit den Entführten und deren Angehörigen sympathisiert, so umstritten bleibt doch die jüngste Demonstration der Macht. Schlicht als „Schweine“ bezeichnete die Moderatorin des Armeehörfunks, Irit Limor, die Entführer des ermordeten Siedlers. Ihn zu töten, sei eine Sache, so Limor, „aber mit Drohungen vor die Presse zu gehen und zusätzlich ein Messer in die offenen Wunden der Eltern des toten Jungen zu stoßen, ist unsäglich“. Den Versuch der Regierung Israels, nun „zu beweisen, wer hier der Boss ist“, empfindet die Moderatorin gleichwohl als lächerlich.
Dem als linksliberal geltenden Autor und Fernsehjournalisten Jaron London platzte über die jüngsten Entwicklungen die Geduld. Er befürwortet die Taktik der Härte als Mittel, den entführten Soldaten freizubekommen. „Nicht die inhaftierten Terroristen austauschen, stattdessen diejenigen töten, die sie schicken, die sie verstecken und antreiben“, so rät London.