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Archiv-Artikel

Aus Angst vor dem Onkel

SCHULD Weil er vor Gericht nicht die Wahrheit gesagt hat, wird ein 24-Jähriger bestraft – und versteht nicht, was an der Lüge so problematisch war

Von FEZ
Nach dem Urteil bleibt A. im Saal. Er versteht nicht, warum er dort überhaupt sitzt

Der A. gibt sich als ehrlicher Mann, ich kann nicht lügen vor Gericht, will er dem Mann draußen auf dem Flur im Amtsgericht gesagt haben. Aber selbst der stärkste Mann – stark wie der A. mit einem Oberkörper, der einem Kasten gleicht, und kugelrunden Muskelpaketen an den Armen, die er sich beim Bodybuilding antrainiert hat – kann schwach werden, wenn die Angst größer ist als der Wille.

Und am Ende siegte die Angst, der A., 24, ging in den Zeugenstand und log. Nein, der Angeklagte sei nicht der gewesen, der mit einem Totschläger auf einen anderen eingeschlagen habe. Zwar habe er, der A., das der Polizei vorher anders gesagt, aber, nein, er habe ihn in der Dunkelheit nicht richtig erkannt. Später gestand der Angeklagte und A.s Aussage wurde als Falschaussage gewertet. Deswegen stand er gestern vor dem Bremer Amtsgericht.

Gebückt hatte er den Saal betreten, zehn Minuten zu spät, vielleicht wäre er lieber gar nicht gekommen, weil er nicht recht versteht, warum man nun ihn ins Visier genommen hat. Er nuschelt, man versteht ihn kaum. Er wollte nicht lügen, weil er nicht lügen könne, sagt er, aber da sei der Onkel des Angeklagten gewesen, vor dem habe er Angst gehabt. „Die haben gesagt: Mach das“, sag also falsch aus, und ihm kam das vor wie: Dann passiert dir nichts. „Und der Onkel hat schon einen abgeknallt“, schiebt er hinterher.

Er gesteht, aber wo ist seine Schuld? Die beiden – der mit dem Totschläger und das Opfer – hätten doch längst alles untereinander geklärt gehabt, schon dieser Prozess sei also, so muss man ihn verstehen, unnötig gewesen. Demnach könne er auch nicht bestraft werden für seine Lüge. Das sieht der Richter anders, die Einigung untereinander, von der die Rede ist, zählt hier nicht, und Falschaussage ist Falschaussage. Er hält den A. aber grundsätzlich für einen ehrlichen Mann, der sich nur habe beeinflussen lassen, aus einem guten Grund.

Fünf Einträge im Bundeszentralregister – Raub, Diebstahl, Unterschlagung – fallen nicht so sehr ins Gewicht, es zählt das Geständnis, deshalb fällt das Urteil milde aus: 100 Tagessätze zu fünf Euro muss er zahlen.

Der A. könnte nun gehen, das Urteil ist gesprochen, der Prozess beendet. Aber er bleibt sitzen, weil er immer noch nicht versteht, warum er dort überhaupt sitzt. Und ihm schwant, dass es schwierig wird, das Geld aufzubringen. Er hat keine Ausbildung, lebt bei den Eltern, kriegt 172 Euro als nicht anerkannter Asylbewerber vom Sozialamt. Wenn er Geld brauche, dann mache er sein Geld, hat er zuvor gesagt. Der Richter hat gar nicht genau wissen wollen, wie er das meine. Er rät ihm, die Staatsanwaltschaft darum zu bitten, die Strafe durch soziale Arbeit abzuarbeiten. „Vielleicht ist das genau das Richtige für sie, wenn sie eh viel Zeit haben“, sagt der Richter. A.s Freundin rät ihm, sich das zu überlegen. Aber er hat seine Entscheidung schon gefällt: „Dann gehe ich lieber in den Knast.“ FEZ