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Archiv-Artikel

Abend mit Leerstelle

OPER Das Stadttheater Bremerhaven zeigt Verdis „Otello“ in einer bemerkenswerten Inszenierung mit einem glänzenden Jago und einem irritierenden Moment

Von VON
Das mediterrane Ambiente gerät buchstäblich aus den Fugen, als Jago in Otello erfolgreich den Untreueverdacht gesät hat – wie bei einem Erdbeben schieben sich die tektonischen Platten gegen-, über- und untereinander, dass man beim Zusehen beinahe seekrank wird

VON ANDREAS SCHNELL

Nein, neue Erkenntnisse zur Blackfacing-Debatte gab es nicht bei der traditionellen Opernpremiere am ersten Weihnachtstag in Bremerhaven. Und auch wenn es für ein paar Sekunden so aussah, als dürften wir uns stattdessen auf „Whitefacing“-Erörterungen einstellen, kam es dann doch anders. Nicht unbedingt besser, aber dazu später.

Bis zu jenem Punkt gab es vor allem eines zu bestaunen: eine musikalische Leistung, wie sie in der Theaterperipherie selten zu erleben ist. Kaum saß man, machte es gewaltig Rumms. Das Städtische Orchester Bremerhaven unter Stefan Tetzlaff hat wohl schon lange nicht so zupackend aufgespielt wie in diesem „Otello“.

Dessen Titelheld, dem venezianischen Gouverneur auf Zypern, scheint zunächst alles zu gelingen: Siegreich zieht er ein, die schöne Desdemona an seiner Seite, die für ihn mit ihrer Familie brach. Aber Erfolg schürt Neid. Der Fähnrich Jago hasst Otello, weil er statt ihm Cassio zum Hauptmann befördert hat. Grund genug für einen mörderischen Rachfeldzug. Und weil er weiß, dass seinem Vorgesetzten nichts über seine Desdemona geht, lässt er ihn an deren Treue zweifeln. Viel Gelegenheit also, die ganz großen Gefühle auszuloten: Eifersucht, Liebe, Hass, Neid, Sehnsucht nach dem verloren gegangenen Glück.

Und – das ist das zweite große Glück an diesem Abend – auf der Bühne erleben wir einen grandios dämonischen Jago, machtvoll, aber facettenreich gesungen von Sangmin Lee, dem mit Katja Bördner eine Schmerzensfrau allererster Güte zur Seite steht, die vor allem im letzten Akt zu Hochform aufläuft, und mit Ray M. Wade jr. als Otello ein Sänger, der die Zerrissenheit seiner Figur überzeugend darzustellen weiß.

Auch in den kleineren Rollen ist der Abend gut besetzt: Tobias Haaks als Cassio ist ein sympathischer Tölpel, der sich seiner Rolle im Ränkespiel nicht eine Sekunde lang bewusst ist. Filippo Bettoschi als Venedigs Gesandter Lodovico ist glatt unterfordert, und Svetlana Smolentseva holt vor allem gegen Ende ganz groß aus – sie ist es schließlich, die vielleicht noch etwas retten könnte zwischen Otello und Desdemona. Der ist allerdings schon nicht mehr Herr seiner Sinne und tötet Desdemona.

Regie (Bruno Berger-Gorski) und Ausstattung (Barbara Bloch) halten sich dabei eher bedeckt. Der Desdemona schenken sie einen Sandkasten mit Trauerweide, der zugleich die Wüste ist, in der sie ihren Gemahl kennenlernte, das Ehebett, in dem ihre Liebe einst unschuldig sein durfte, und das Totenbett, in dem sie ihr Leben aushaucht. Der Rest spielt in mediterranem Ambiente, das buchstäblich aus den Fugen gerät, als Jago in Otello erfolgreich den Untreueverdacht gesät hat – wie bei einem Erdbeben schieben sich die tektonischen Platten gegen-, über- und untereinander, dass man beim Zusehen beinahe seekrank wird.

Ansonsten lässt Berger-Gorski ein paar Kapuzenmänner „Morte al Negro“, Tod dem Schwarzen, an die Wand malen, decouvriert gelungen Otellos Siegesfeier als eher brutales Geschehen, bei dem vor allem die Frauen wenig zu lachen haben – und sorgt am Ende für Irritation: Bevor Otello Rache an der vermeintlich untreuen Desdemona nimmt, beginnt er, sich weiße Farbe ins Gesicht zu malen. Eine Reaktion auf die rassistischen Anfeindungen, könnte man meinen. Als er allerdings zur Tat schreitet, ist daraus eine veritable Kriegsbemalung geworden. Ein plumper Rekurs auf die Herkunft des „Mohren“? Oder die plumpe Fortsetzung des Rassismus mit anderen Mitteln? Darüber schweigt sich der Abend leider aus.

■ nächste Vorstellungen: Samstag (heute) & Freitag, 19.30 Uhr, Stadttheater Bremerhaven