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Archiv-Artikel

„Eltern sind nun mal Vorbilder“

Halbwüchsige sterben an Schnüffelstoffen, Elfjährige greifen zum Joint und immer mehr Jugendliche nehmen halluzinogene Pilze. Das ist ein Problem, das die gesamte Gesellschaft angeht, sagt der hannoversche Drogenhelfer Heiner Peterburs

Interview: Felix Spahn

taz: Herr Peterburs, am Mittwoch starb ein 13-Jähriger auf dem Spielplatz in Elsfleth, weil er Feuerzeuggas einatmete, vor vier Wochen kommt ein Elfjähriger in Oldenburg ums Leben, weil er sich mit Haarspray berauschen wollte. Was ist da los?

Heiner Peterburs: Das sind leider keine Einzelfälle mehr. Anfang des Jahres spritzten sich drei 14-Jährige in Burgdorf Wodka, in unseren Beratungsstellen sind Elfjährige, die zum ersten Joint greifen, keine Ausnahme. Das Einstiegsalter für Cannabiskonsum liegt inzwischen durchschnittlich bei 14,4 Jahren, immer mehr Jugendliche nehmen halluzinogene Pilze. Der Einstieg erfolgt oft über die so genannten „legalen“ Suchtmittel: Durchschnittlich fangen Kinder heutzutage zwischen dem 12. und dem 15. Lebensjahr an, zum Alkohol zu greifen, sie rauchen Zigaretten, obwohl sie noch nicht mal zehn sind. Das bereitet uns große Sorgen.

Ist das ein Erbe der 68er?

Vielleicht. Die Gesellschaft ist aber nicht nur liberaler geworden, sie vermittelt den Heranwachsenden offenbar auch keine klaren Grenzen mehr. Das liegt auch an der hohen Arbeitslosigkeit oder an zerrütteten Familienverhältnissen. Besondere Risikogruppen für schädigenden Gebrauch von Suchtmitteln sind Schulabbrecher und Kinder aus so genannten sozialen Brennpunkten. Eltern sind nun mal Vorbilder. Ein Vater, der abends beim Fernseher sein Bier trinkt, kann seinem Sohn nur schwer vermitteln, dass er nicht zum Joint greifen sollte. Ebenso dürfte es einer Mutter, die regelmäßig zu Psychopharmaka oder Schmerzmitteln greift, schwer fallen, ihre Tochter davon abzuhalten, dass die abends Pillen in einem Club einwirft. Wir hören in unserer Arbeit immer öfter, dass Haschisch von vielen Schülern als „ganz normaler“ Kick angesehen wird, um aus dem Alltag auszusteigen. Allein in unserer Filiale in Hameln sind derzeit 50 Heranwachsende in regelmäßigen Beratungsgesprächen eingebunden.

Ist das ein Verfall der Werte?

Es ist eher ein Verfall der eigenen Grenzen. Wer frustriert ist oder ein gestörtes Selbstvertrauen hat, nimmt leichter Drogen, weil sie scheinbar die Sorgen vertreiben. Haschischkonsum oder Trink-Orgien sind ein Anzeichen von Kontrollverlust – und ein Warnsignal für eine geschwächte Persönlichkeit. Offenbar werden die Gefahren, die der Missbrauch von legalen wie illegalen Drogen mit sich bringt, von vielen Jüngeren unterschätzt. Zu Hause und auch in der Schule hat man ihnen nicht beigebracht, dass der Konsum nicht ohne schädliche Folgen bleibt. Es geht also um ein Problem, das die gesamte Gesellschaft angeht.

Was tut die STEP?

Wir leben in einer Gesellschaft, die nicht abstinent lebt. Vielleicht ein Prozent aller Deutschen greift nie zu Zigaretten, Alkohol oder härteren Drogen. Deshalb geht es uns darum, Erfahrungen mit Rauschmitteln möglichst in einen späteren Lebensabschnitt zu verlagern, in dem die Jugendlichen reifer sind und die Folgen ihres Tuns besser abschätzen können. Prävention ist also wichtig: Wir veranstalten Elternabende und gehen in die Schulen, Jugendzentren oder zur Reincarnation-Parade, um ein besseres Bewusstsein gegen Drogen zu schaffen.

Was können Eltern tun?

Auch wenn es gerade in der Zeit des Heranwachsens schwer fällt: Väter und Mütter sollten den Kontakt zu ihren Kindern nicht verlieren. Es ist wichtig, im Gespräch zu bleiben. Gerade, wenn die Leistung in der Schule abfällt oder es Probleme mit Kameraden oder Lehrern gibt, sollten Eltern auf ihre Kinder zugehen.

Was ist dann wichtig?

Wenn Eltern merken, dass sich Ihr Kind auffällig verhält, kann die Antwort nur eine sein: Sie sollten in wohlwollender und sensibler Weise auf die Jugendlichen zugehen, ihnen vertrauensvoll zur Seite zu stehen, ihnen Orientierung geben. Außerdem sollten sie fragen, was den Reiz des Rausches eigentlich ausmacht. Wenn Jugendliche über ihre subjektiv positiven Erfahrung mit Drogen erzählen, können Eltern vielleicht erahnen, was dem Kind wirklich fehlt. Wenn sich das Verhalten trotzdem nicht ändert, hilft zum Beispiel unsere Drogenberatungsstelle in Hannover, die Drobs.