piwik no script img

Archiv-Artikel

Gegen zwei Feinde ringen

WERKSCHAU „Film – Waffe oder Scheiße“, schrieb der jugoslawische Filmemacher Želimir Žilnik in einem Manifest. Zu den Feinden, gegen die er kämpfte, gehörten Tito und die eigene bürgerliche Natur. Das Arsenal widmet ihm eine Werkschau

Werkschau Želimir Žilnik

■ „Kreative Provokation“ verspricht die Werkschau von Zelimir Zilnik im Arsenal mit 20 Filmen des „stets radikal unabhängigen“ Regisseurs, die bis 31. Januar gezeigt werden.

■ Zur Eröffnung der Werkschau am Samstag, 20 Uhr, mit einem Kurzfilmprogramm ist Zilnik zu Gast im Arsenal. Auch bei den Vorführungen am Sonntag und Montag wird der in Novi Sad in Serbien lebende Filmemacher anwesend sein. www.arsenal-berlin.de

VON MADELEINE BERNSTORFF

Das Arsenal zeigt vom heutigen Samstag an im Januar eine kompakte und atemberaubend diverse Werkschau des jugoslawischen Filmemachers Želimir Žilnik, 1942 in einem Lager im serbischen Niš geboren. Žilnik dreht seit den 1960er Jahren materialistische Dokudramen, die kurzen und die langen Filme sind in ihrer politischen und menschlichen Konsequenz gleichbleibend radikal. Im Widerstand gegen neo-stalinistische Obrigkeiten, anti- und postkommunistische Gleichschaltungsklischees, die Festung Europa, bundesrepublikanische Deutscher-Herbst-Tabus, nationale und machistische Balkanismen, sowie gegen marktliberale Ideologien erfindet Źilnik sich bis heute immer wieder neu.

Sein erster, pessimistischer Langfilm „Frühe Werke“ (1969) ist zentral für den Neuen Jugoslawischen Film der Nachkriegszeit, der bald von Jugoslawiens Obrigkeit als „Schwarze Welle“ diffamiert wurde und sich selbst diesen Namen gab. Die Kontroverse, die „Frühe Werke“ auslöste, führte zur Gegenoffensive gegen diese „Schwarze Welle“.

In „Frühe Werke“ wird das kommunistische Manifest rezitiert. Von Protesten an den Unis geht’s aufs Land. Die blonde Heldin Jugoslava fordert mit viel Nacktheit die sexuelle Befreiung ein und klärt die Arbeiterinnen über den Gebrauch von Verhütungsmitteln auf. Mit drei Kumpanen und einem wackeligen 2CV durchreist sie die Dörfer, wettert gegen Stagnation und Neo-Feudalismus und fordert „Nieder mit der roten Bourgeoisie“. Nach der Ablehnung durch die Dorfbevölkerung, einer aggressiven Schlammschlacht, einer Rückwärtsfahrt mit einer wieder aktivierten revolutionären Lokomotive (die aber ein Relikt aus der deutschen Besatzungszeit ist) wird Jugoslava von ihren eigenen Genossen als Zeugin ihrer Impotenz erschossen und verbrannt.

Tito liebte John Wayne

Es heißt, der jugoslawische Präsident Tito, der Western mit John Wayne und Partisanenfilme liebte, habe sich den Film angesehen und nach fünfzehn Minuten die Vorführung abbrechen lassen mit den Worten: „Was wollen diese Leute?“ Ein Funktionär kam zu Žilnik, Tito sei sehr aufgebracht, die Polizei beschlagnahmte alle Kopien, es kam zum Gerichtsprozess. Im Sommer 1969 gewann der Film den Goldenen Bären der Berlinale.

Es folgt ein Quasi-Berufsverbot für Žilnik im Paradies Jugoslawien, er verschwindet nach Bayern, von dort wird er nach drei Jahren ausgewiesen wegen zweier missliebiger Filme, die den „Deutschen Herbst “ thematisieren: „Öffentliche Hinrichtung“ (BRD 1974) und „Paradies. Eine imperialistische Tragikomödie“ (BRD 1976).

Die wilden ungebärdigen Kids in „Kleine Pioniere, wir sind eine Armee, wir sprießen wie grünes Gras“ (1968) rauchen früh, sprechen von sexueller Gewalt und schielen synchron. „Ich unterstütze die Leute dabei“, sagt der Filmemacher, „ihre eigene Situation zu erkennen und ihre Position dazu so effektiv wie möglich auszudrücken, und sie helfen mir, einen Film über sie auf die bestmögliche Weise zu machen.“

Laut der Klischees über den Balkan geht es dort lebensfroh, saftig, drall und laut zu. Wie Žilnik damit umgeht, ist in „Aufstand in Jazak“ (1973) zu sehen: Laut schreien die Dorfbewohner, die ihre Erfahrung im Partisanenkampf gegen die deutschen Besatzer vorspielen – eine großartige Performance, die an Straßendeklamationen erinnern, initiiert vom Filmemacher und im Kollektiv getätigt, unterstrichen von Karpo Godinas eingebetteter Kampf-Kamera, und den nachträglich fabrizierten Kriegsgeräuschen.

Der „Der Schwarze Film“ (1971) fängt an wie ein klassischer Dokfilm. Sogenannte Betroffene erzählen von ihrer Obdachlosigkeit. Doch dann wendet sich die Kamera auf den Regisseur und er beschreibt seine Wohnsituation, seinen Verdienst, seine Klassensituation. Er lädt die Gruppe von Wohnungslosen nach Hause ein, erwähnt, dass sie für die Zeit bezahlt werden, die Ehefrau schreckt auf, verzieht sich, das Kind verschwindet.

Die Obdachlosen schnarchen sich in den Schlaf. Währenddessen zieht der Filmemacher mit der Kamera los, „das Problem zu lösen“. Für die Kurzfilmtage Oberhausen versieht Želimir Žilnik die Filmkopie mit einem Manifest: „Ich muss gegen zwei Feinde ringen: gegen meine bürgerliche Natur, die aus diesem Engagement Alibi und Geschäft macht, und gegen die Manipulierenden, gegen die Macht- und Kapitalbesitzenden, denen das Schweigen gut bekommt, deswegen ficke ich mein Schuldgefühl. Film – Waffe oder Scheiße?“

„Marmorarsch“ (1994) heißt Žilniks filmisches Statement zur explodierenden Gewalt Mitte der Neunziger, das in einer halb verfallenen Villa und auf dem Transenstrich von Belgrad spielt. Zwei machistische Kriegsheimkehrer schleppen den Billardtisch, unter dem einer ihrer Kampfgenossen gefallen ist, in das fragile Idyll der älteren Merlin und ihrer nymphomanischen Genossin. Der Tisch ist der posttraumatische Trigger-Fetisch. Des einen Protagonisten Traum in einer aufblasbaren Präservativ-Idylle wiederum zerplatzt und endet in Knabengreinen wie einst im Sandkasten.