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Archiv-Artikel

Sphäre der Lächerlichkeit

Übt England keine Strafstöße? Nach der Viertelfinal-Schlappe gegen Portugal steht die bittere Bilanz: Fünf von sechs Elfmeterschießen bei einer WM oder EM haben die Erfinder des Fußballs vergeigt

AUS GELSENKIRCHENBERND MÜLLENDER

Sie lungerten im Mittelkreis, paralysiert, als hätten sie die Schlacht um Trafalgar nachträglich am grünen Tisch verloren. John Terry heulte. Kapitän David Beckham schluchzte trocken – er war längst wieder dehydriert. Einige Spieler blieben regungslos auf dem Rücken liegen, minutenlang. England hatte es zwar „nicht verdient auszuscheiden“, wie Trainer Sven-Göran Eriksson nach seinem letzten Auftritt als Nationalcoach so bockig wie falsch sagte, aber sie waren trotzdem draußen. Durch Elfmeterschießen – the same procedure as in every tournament. Dieses Mal mit 1:3.

Fünf von sechs Versuchen bei einer WM oder EM haben die Erfinder des Fußballs vergeigt, seit ausgerechnet ein Deutscher, der Münchner Schiedsrichter Karl Wald, 1970 die Fifa mit der Idee zum Elfmeterschießen überzeugte. Und wenn England nicht an Deutschland scheitert (bislang zweimal), dann wenigstens in Deutschland. In Gelsenkirchen haben sie dabei eine neue Sphäre der Lächerlichkeit erreicht.

Da war zum Beispiel Jamie Carragher. Eriksson hatte den Mann aus Liverpool extra nach 117 Minuten als vermeintlich sicheren Elfmeterschützen eingewechselt. Carragher verschoss, zudem den entscheidenden Letzten und auf bizarre Art sogar mehrfach. Erst schoss er zu früh. Seinen legalen zweiten Versuch, einen Flachschuss, parierte Torwart Ricardo, der Ball prallte von dessen Händen steil gegen die Latte, um in höhnischer Zeitlupe dem Schützen wieder vor die Füße zu tropfen.

Auch die Stars Lampert und Gerrard hatten Portugals Goalie Ricardo die Einstellung des WM-Rekords (drei gehaltene Elfer) ermöglicht. Einzig Owen Hargreaves traf, mühsam zudem. Dass der Münchner zum „Man of the Match“ ausgerufen wurde, klang wie eine Verhöhnung. Aber er bekam die Ehre nicht, weil er als Engländer sensationellerweise einen Elfmeter versenkt hatte, sondern weil er ein wirklich starkes Spiel gemacht hatte – defensiv wie offensiv. Hargreaves („Es ist ein Jammer“) sah es als „entscheidenden Knackpunkt“ an, dass der Kollege Wayne Rooney vom Platz geflogen war. Englands große Hoffnung hatte versucht, den Portugiesen Carvalho per Volleytritt zu entmannen. Es war die einzig zielsichere Aktion des Jungstars, regelfremd und zudem erfolglos.

England verteidigte mit Leidenschaft sein Tor, als ginge es um die Kronjuwelen. Die Portugiesen boten Zeitlupenfußball und zielten bei 12 von 20 Schüssen Richtung Wanne-Eickel oder Essen-Katernberg – gut, dass das Stadiondach geschlossen war. Trotz des stolpernden Peter Crouch hatte England zu zehnt sogar die besseren Chancen. Aber sie zielten portugiesisch. Der ausgewechselte David Beckham konnte keinen Elfmeter verschießen. Englische Zeitungen hatten vorher vorsorglich recherchiert, dass die Zonen um die Elfmeterpunkte nicht so rutschig sind wie bei der EM 2004, als Beckham gegen Portugal den Ball lustig in die Wolken gelöffelt hatte. Übt England kein Elfmeterschießen? Doch, sagte Eriksson nachher, und zwar „so sehr, dass wir mehr nicht tun konnten“. Ashley Cole ergänzte: „Wir haben Elfmeter nach jedem Training geübt.“ Über die Erfolge sagte er nichts. Und gegen wen üben sie? Gegen die eigenen Keeper wie Robinson, Elfmeter-Torhüter zweiter Klasse. Und offenbar sind sie naiv. Gary Neville meinte: „Bis Ronaldo den letzten reingeschossen hatte, hatte ich keinen Moment ein ungutes Gefühl.“

England trauert – der Tradition verpflichtet. Der Observer schlug gestern vor, das Team trotz des Ausscheidens würdig zu empfangen. Ein Leserbriefschreiber empört: „Diese unterirdische überbezahlte Bande von nichtsnutzigen Blagen“ gehöre im besten Falle ignoriert.