: Ewig blüht der Raps
Britisches Fräuleinwunder in Indien: Rakeysh Omprakash Mehras Film „Rang de Basanti – Die Farbe Safran“ vereint Bollywood und Autorenfilm
von DOROTHEE WENNER
Bollywood-Star Aamir Khan hat gerade mächtig Ärger in Indien. Der Hauptdarsteller von „Rang de Basanti“ wurde wegen seiner kritischen Äußerungen zum umstrittenen Narmada-Staudamm von dem korrupten Politfilz in eine Position gedrängt, die erstaunliche Parallelen zu Khans Filmrolle aufweist.
Im wirklichen Leben ist sein Gegenspieler die Hindu-fundamentalistische Regierung des Bundesstaats Gujarat, die nachweislich mitverantwortlich für das Massaker an mehreren tausend Muslimen im Jahr 2003 war. Den Hardlinern aus Gujarat gefiel das aufmüpfige Verhalten des Bollywood-Stars nicht – und so wurde der Start von Khans neuem Film „Fanaa“ in den Kinos des Bundesstaates Ende Mai verboten. Der Boykott wurde von der Vereinigung der regionalen Theaterbetreiber mit erschreckend undemokratischen Begründungen unterstützt.
„Fanaa“ ist ein Bollywood-Film über Liebe im Zeitalter des Terrorismus, doch war der Inhalt nicht Auslöser des Streits. Inhaltlich besser hätte die Debatte zu „Rang de Basanti“ gepasst. Doch der Film ist in Indien bereits ausgewertet. Er war ein Riesenerfolg, ein klassischer Box-Office-Hit, die politische Botschaft von „Rang de Basanti“ wurde von Fans und Medien in Indien bestenfalls am Rande diskutiert.
Sue Kingley, eine sehr blonde Engländerin (Alice Patten), verlässt zu Beginn des Films ihre britische TV-Anstalt, nachdem man ihr verboten hat, eine Dokumentation über die unbekannteren Helden der indischen Freiheitskämpfer zu drehen. Sue beschließt, auf eigene Faust einen historischen Spielfilm über die jungen Revolutionäre von damals zu machen. Im Gepäck hat sie eine Mini-DV-Kamera, und ihr Hindi ist perfekt. Auf der Suche nach geeigneten Darstellern kommt sie in Kontakt mit der unpolitischen, partysüchtigen Jeunesse dorée von Delhi. Sue ist einigermaßen entsetzt, dennoch gefällt ihr das Aufbegehren der jungen Studenten gegen zu enge Traditionen. Dank prompter und gegenseitiger erotischer Faszination können die Dreharbeiten bald beginnen.
Sue hat jedoch ihre liebe Mühe, die gebotene Ernsthaftigkeit ins Spiel zu bringen: Der antikoloniale Freiheitskampf ist nicht wirklich das, was die Studenten von heute interessiert. Als jedoch der Verlobte von Sues Freundin tödlich verunglückt, wendet sich das Blatt. Ajay war Pilot bei der indischen Luftwaffe und sein Absturz die traurige Konsequenz eines dubiosen Flugzeugdeals. In „Rang de Basanti“ beginnen sich die Studenten nach dem Absturz zu politisieren, sie werden konfrontiert mit einem korrupten Parteiapparat und sensibilisiert für die Gegenwart, die viel Anlass für Aufbegehren gibt. Immer mehr überlagert sich der historische Film im Film mit dem aktuellen Geschehen und endet „synchron“ mit dem Tod der alten und neuen Helden, die nur in Bollywood so lachend und glücklich durch ewig blühende Rapsfelder ziehen können.
Das äußerst clevere Drehbuch, das mit Hilfe von Bollywood-Traditionen alle Unglaubwürdigkeiten der Geschichte großartig überspielt und sich mit prima Musikeinlagen und großen Bildern eines wahrhaft ambitionierten Stoffes annimmt, ist neues indisches Cross-over-Kino vom Feinsten. Nach der Ära der melodramatischen Family-Films ist „Rang de Basanti“ vielleicht sogar zukunftweisend, insofern es dem Regisseur Rakeysh Omprakash Mehra tatsächlich gelungen ist, politisch anspruchsvolles Auteur cinema kommerziell erfolgreich mit Bollywood zu vereinen.
Und doch hinterlässt der Film ein merkwürdiges Unbehagen: Die britische Protagonistin stieß auf ihren Stoff, nachdem sie das Tagebuch ihres Großvaters gelesen hatte, der als Kolonialoffizier persönlich die Hinrichtung der jungen indischen Freiheitskämpfer angeordnet hatte. Zwar hegte auch Sues Großvater eine geheime Bewunderung für die stolzen jungen Männer – umgebracht hat er sie dennoch. Diese ja nicht unerhebliche Tatsache wird nie zum Konflikt, weder für Sue noch für ihre neuen indischen Freunde. Im Gegenteil: Der Film baut sogar auf eine höchst gewagte Parallele, insofern Sue Jahre später historisches Gewissen aus England reimportiert und damit genau wie ihr Großvater – zumindest indirekt – den Heldentod „ihrer“ Revolutionäre mitverantwortet. Diese durchaus spannende Narration manövriert an Abgründen, die in diesem Film an entscheidenden Stellen so salopp umtänzelt werden, dass man Bollywoods neues Interesse an indischer Geschichte doch nur für simple Kulissenschieberei halten könnte.
Rakeysh Omprakash Mehra meinte dazu, in Indien habe man den Engländern eben verziehen und insbesondere gegenüber der jungen Generation keine Vorbehalte mehr. Der Erfolg gibt ihm Recht, und dennoch haben sich auch in Indien einige Zuschauer sehr über das neue britische Fräuleinwunder aus Bollywood echauffiert.
„Rang de Basanti“, Regie: Rakeysh Omprakash Mehra. Mit Amir Khan, Alice Patten u. a., Indien 2006, 160 Min.