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Archiv-Artikel

Der mühsame Weg zur Gerechtigkeit

Überlebende des Terrors der Roten Khmer in Kambodscha mussten Jahrzehnte auf einen Prozess gegen Exführer des Regimes warten. Jetzt nimmt ein von kambodschanischen und ausländischen Richtern besetztes UN-Tribunal formell seine Arbeit auf

VON NICOLA GLASS

Die Sprecherin des Tribunals, Helen Jarvis, ist sichtlich erleichtert: „Darauf haben wir eine sehr lange Zeit gewartet, nun ist es endlich so weit“, so Jarvis zur taz. Die Richter, dreizehn von der UNO und siebzehn von Kambodschas Regierung ausgewählte Juristen, werden heute in der Hauptstadt Phnom Penh vereidigt.

Mit der Aufarbeitung der Beweislage gegen ehemalige Führer der Roten Khmer soll am kommenden Montag begonnen werden. Diese Untersuchung werde mindestens sechs Monate dauern, schätzt Jarvis. Erst wenn das „korrekte juristische Prozedere“ abgeschlossen ist, können die Beschuldigten dem Gericht vorgeführt werden.

Im Juni 2003 hatte sich Kambodschas Regierung mit der UNO nach fünfjährigen zähen Verhandlungen auf die Einrichtung eines Tribunals geeinigt, das die noch lebenden Führer der Roten Khmer wegen Völkermordes, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit aburteilen soll. Ratifiziert wurde das Abkommen wegen einer Regierungskrise in Kambodscha jedoch erst im Oktober 2004.

Es ist das erste internationalisierte Tribunal mit mehrheitlich einheimischen Richtern und Anklägern. Urteile benötigen allerdings die Zustimmung von mindestens einem Richter, der von UN-Seite ernannt wurde. Dina Nay, Überlebende des Rote-Khmer-Regimes, sorgt sich dabei um die Unabhängigkeit der kambodschanischen Justiz. Wie sie monieren viele Kritiker die engen politischen Verbindungen zwischen dem jetzigen Staatsapparat und den ehemaligen Roten Khmer, die den Prozess seit Jahrzehnten verschleppt haben. „Ich warte seit 30 Jahren auf Gerechtigkeit, und wir wollen, dass dieses Kapitel beendet wird“, so Nay, Direktorin des Khmer Institute of Democracy in Phnom Penh, gegenüber der taz.

Die 50-Jährige kritisiert, dass die dringend benötigte Reform des heimischen Justizwesens bislang ausgeblieben ist. „Richter sollten frei sein von politischer Einflussnahme und Korruption. Bisher hat es hier kaum Verbesserungen gegeben.“

Bislang musste sich kein hochrangiger Führer der maoistischen Roten Khmer juristisch verantworten. Die Schlüsselfigur des Völkermordes, der „Bruder Nummer eins“, Pol Pot, starb bereits 1998. Von den ehemaligen Tätern sitzen lediglich zwei in Haft: Der frühere Militärchef der Roten Khmer, der heute 82-jährige Ta Mok, sowie der ehemalige Leiter des Foltergefängnisses, Tuol Sleng in Phnom Penh, Kaing Khek Iev.

Andere ehemalige Rote Khmer wie der frühere Staatschef Khieu Samphan, Exaußenminister Ieng Sary oder der als „Nummer zwei“ berüchtigte Nuon Chea leben bislang unbehelligt in Freiheit. Im Dezember 1998 waren die meisten der verbliebenen Roten Khmer amnestiert worden. Der als durchtrieben geltende Regierungschef Hun Sen, selbst ein 1977 zu den Vietnamesen übergelaufener ehemaliger Offizier der Roten Khmer, hatte sich mehrfach öffentlich darüber mokiert, wer eigentlich wofür vor Gericht gestellt werden solle.

Während des Terrorregimes waren zwischen April 1975 und Anfang 1979 schätzungsweise 1,7 Millionen Kambodschaner ermordet worden, rund ein Fünftel der Bevölkerung. Im Januar 1979 hatte eine Invasion der vietnamesischen Armee die Herrschaft der lange von den USA und China unterstützten Roten Khmer beendet.

Diese begannen anschließend einen bis Ende der 90er-Jahre andauernden Guerillakrieg gegen eine zunächst von vietnamesischer Seite eingesetzte und später unter UN-Aufsicht 1993 gewählte Koalitionsregierung unter den Premierministern Norodom Ranariddh und Hun Sen.

Dass es nach all den politischen Ränkespielen überhaupt zur Einrichtung eines UN-Tribunals gekommen ist, gilt als Durchbruch. In Anbetracht beschränkter Zeit und finanzieller Mittel ist es allerdings unwahrscheinlich, dass letztendlich mehr als ein Dutzend der greisen Angeklagten juristisch abgeurteilt werden. UN-Tribunalsprecherin Helen Jarvis und Dina Nay beklagen, dass den Anklägern die Zeit davonläuft: „Wir fürchten, dass diejenigen, die für die Morde verantwortlich sind, einer nach dem anderen sterben“, sagt Dina Nay.

Für den auf drei Jahre angelegten Prozess wurde ein Budget von 56 Millionen US-Dollar veranschlagt. Schon heute steht fest, dass diese Summe längst nicht ausreichen wird. Es fehlen zum Beispiel Gelder für den langfristigen Schutz wichtiger Zeugen sowie für die Einrichtung einer Gerichtsbibliothek.