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Archiv-Artikel

Al-Qaida droht Iraks Schiiten

Ussama Bin Laden meldet sich in einer angeblichen Audio-Botschaft zu Wort. Die Sunniten sollen sich nicht in den politischen Prozess des Landes einbinden lassen

KAIRO taz ■ Am Wochenende hat im Irak wieder die Stunde der Bürgerkriegs-Provokateure geschlagen. In einer per Internet verbreiteten Audiobotschaft drohte die mutmaßliche Stimme des Al-Qaida-Oberhauptes Ussama Bin Laden am Samstag mit Anschlägen gegen Schiiten. Am gleichen Tag war der Aufruf bereits erhört worden, als eine Autobombe auf einem belebten schiitischen Markt in Sadr-Stadt in Bagdad mindestens 62 Menschen das Leben kostete. Über hundert wurden verletzt.

Falls die Audiobotschaft authentisch ist, wäre es dieses Jahr das zweite Mal, dass sich Bin Laden zu Wort gemeldet hat. Die letzte Videobotschaft, in der Bin Laden im Bild zu sehen war, liegt allerdings 27 Monate zurück.

„In Zeiten, in denen Sunniten im Irak vernichtet werden, werden schiitische Gebiete nicht sicher sein“, lautete die Warnung in der neuen Botschaft. „Es kann nicht angehen, dass die Schiiten an der Seite der Amerikaner und ihrer Verbündeten in den sunnitischen Städten Ramadi, Falludscha und Mossul Verbrechen begehen und in ihren Gebieten sicher leben“, heißt es. In dem 19-minütigen Aufruf werden Schiiten durchgehend als „Verweigerer“, „Verräter“ oder „Agenten Amerikas“ beschrieben.

Handelt es sich tatsächlich um Bin Laden, wäre das eine Abkehr von der Politik, die dem Al-Qaida-Chef bisher zugeschrieben wurde. Vergangenes Jahr soll dessen Vertreter, Aiman al-Sawahiri, den damaligen Frontmann von al-Qaida im Irak, Abu Mussab al-Sarkawi, in einem Brief wegen seiner Angriffe auf schiitische Zivilisten kritisiert und dazu aufgerufen haben, diese zu beenden. Der Brief war laut den US-Militärs damals abgefangen worden. Dennoch wurde dem mittlerweile ums Leben gekommenen Sarkawi in mehreren al-Qaida zugerechneten Nachrufen Tribut gezollt. In Bin Ladens Tonband wurde auch dessen Nachfolger Abu Hamsa al-Muhadschir eingeführt.

Mit dem neuen mutmaßlichen Bin-Laden-Band soll vermutlich auch der Versöhnungsplan des irakischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki sabotiert werden, mit dem dieser einen Teil der sunnitischen Aufständischen auf seine Seite ziehen will. In der Aufzeichnung werden die Sunniten davor gewarnt, sich politisch einbinden zu lassen. „Unsere muslimischen Brüder im Irak müssen begreifen, dass es mit Kreuzfahrern und von Abtrünnigen des Islams keinen Waffenstillstand geben kann“, ist dort zu hören. Weiter heißt es: „Sie sollten sich auf keine halben Lösungen einlassen und an ihrem Dschihad festhalten. Fallt nicht auf Einladungen rein, in denen ihr aufgerufen werdet, politischen Parteien beizutreten und am so genannten politischen Prozess teilzunehmen.“

Zumindest die sunnitische Parlamentsabgeordnete Taisir Nadscha Awad al-Maschhadani musste bereits den Preis für Kooperationsbereitschaft bezahlen. Sie wurde zusammen mit acht Leibwächtern an einer Kreuzung am helllichten Tag im Norden Bagdads von Bewaffneten überfallen und verschleppt. Ihre Partei stellt mit 44 der 275 Sitze die größte sunnitische Fraktion im Parlament. Aus Protest gegen die Entführung einer ihrer Abgeordneten hat die sunnitische Front der Nationalen Einheit inzwischen ihre Mitarbeit im irakischen Parlament ausgesetzt. Bis zur Freilassung würden die Abgeordneten der Partei nicht an den Sitzungen teilnehmen, kündigte der Fraktionsvorsitzende Adnan al-Dulaimi gestern an.

KARIM EL-GAWHARY

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