Ein neuer Narr für NRW

Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hat einen neuen Titel. Dafür musste er nur drei Fragen beantworten. Das hat er geschafft und ist jetzt Dr. humoris causa der Dülkener Narrenakademie

VON PETER ORTMANN

Also der Jürgen Rüttgers (CDU) hat echt Humor. Er überlege noch, kurz vor Lebensende aus der CDU in die SPD einzutreten. „Es ist immer besser, es stirbt einer von den anderen“, sagt er. Auf seinem Kopf prangt jetzt der Doktorhut der ältesten Narrenakademie der Welt. Und die liegt am tiefsten Niederrhein in Dülken. Das soll irgendwo bei Viersen sein. Genaues weiß niemand.

Hinter der doch etwas einfachen Bezeichnung „Dülkener Narrenakademie“ verbirgt sich still und heimlich „Die erleuchtete Mondsuniversität und Berittene Akademie der Künste und Wissenschaften zu Dülken“. Sie sieht den 21. Februar 1554 als den Tag ihrer Gründung an und hat ihren Sitz in der zwei Jahre später errichteten Narrenmühle, die aber dummerweise 1880 abbrannte. Der jetzige Dienstsitz nebst „Weisheitssaal“ war ursprünglich eine Bockwindmühle. Das ist der älteste Windmühlentyp in Europa. Der Name rührt von einem Untergestell, dem „Bock“ her, in dem das eigentliche Mühlenhaus gelagert ist. Bis zum Jahr 1950 befand sich dort in Dülken ein Museum. Danach wurde die Mühle von 1809 an die Narrenakademie abgegeben. Jedes Jahr verleiht sie dort den wichtigen Titel „Doctor humoris causa“. Frauen werden auch zugelassen, aber nur alle 200 Jahre gewählt, schließlich ist der Titel „eine Anerkennung für verdiente Männer des Humors und des heimatlichen Brauchtums“. So stehts in der Ausschreibung. Berühmte Herren der Schöpfung wie Johann Wolfgang von Goethe, Berti Vogts, Erich Kästner, Konrad Adenauer und als Mondsuniversität logisch, – Neil Armstrong bleiben als Narren also lieber unter sich. Der Astronaut stiftete sofort ein Stückchen Mondgestein. Echt, hoffentlich.

NRW-Ministerpräsident Rüttgers, jetzt auch neuer Doktor der Akademie, brachte eigens eine nordrhein-westfälische Urkunde mit, die den Narren zwar den offiziellen Hochschulstatus zugesteht, ihnen aber gleichzeitig verbietet, jemals Studiengebüren einzuziehen. Wie schon gesagt, Humor hat der Landeschef. Und so konnte er die drei obligatorischen „Doctor-Fragen“ locker flockig bewältigen, auch die zum Bindestrich-Land. Hier nutzte er das alte Bonmot aus NRW-Gründerzeiten: „Die Westfalen halten, was die Rheinländer versprechen“ und bei der letzten Frage: Was wollen sie auf keinen Fall tun, die – ganz staatsmännisch – lustige Antwort: Er wolle kein fauler Landesvater sein. Dennoch waren alle Narren ganz gerührt und auch Gegenredner und Parteifreund Paul Mikat (NRW-Kultusminister 1962-66) verzieh ihm den SPD-Übertritt zum Lebensende. Mikat selbst ist seit 1965 Ritter des Ordens wider den tierischen Ernst und war deshalb besonders prädestiniert.

„Diesen Humor hätte man Jürgen Rüttgers eigentlich gar nicht zugetraut“, sagt der Rector magnificus bei der Analyse der Fragestunde. Er heißt Volker Müller und ist in Dülken ein richtiger Doktor – speziell für die Augen. Ein bisschen hätte die Euphorie beim Landeschef wohl auch am gerade gewonnenen Viertelfinale bei der Fußball-WM gelegen. Der Vorsitzende der Narren-Akademie hat noch einen zweiten Namen: „Senator admirator lunae plenae“ (Bewunderer des Vollmondes). Damit führt er die anderen 44 Senatoren an. Die nennen sich dann „Senator tutor suppressorum et expropriatorum“ (Beschützer der Unterdrückten und Ausgebeuteten – ein echter Steuerberater) oder „Senator protector aquae ductus“ (Beschützer der Akademischen Wasserleitung – dahinter verbirgt sich ein wirklich witziger Urologe). Alle treffen sich im Großen Weisheitssaal nach drei donnernden Hammerschlägen am ersten Mittwoch des Monats und hier hat sich der neue Kandidat auch ins Goldene Buch der Stadt eingetragen.

Als Narrenchef hielt Volker Müller auch die Laudatio. Vor über Hundert Gästen und viel Prominenz outete der Augenarzt viel Privates über den „Präsidenten unseres wunderschönen Landes“, der seine Jura-Dissertation trotz einer Schul-Fünf in Deutsch und einer gehörigen Abneigung gegen Latein dennoch über „Das Verbot parteipolitischer Betätigung im Betrieb“ verfasste. Verheiratet mit einer rheinischen Frohnatur werbe Rüttgers gern für alte Tugenden wie Pünktlichkeit, Anstand und Fleiß. Ist notorischer Frankreich-Urlauber und regelmäßiger Kirchgänger. Als Kind habe er allerdings Karl-May unter der Bettdecke gelesen. Leben und leben lassen zeichneten den Rheinländer par excellence eben aus. Und auch sein Hang zum Ansammeln von Plastik-Uhren falle noch nicht unter eine nötige Sucht-Prävention. „Nicht sehen und trotzdem glauben, das allein mache selig“, da kommt der Augenarzt Müller eben wieder durch. Danach dröhnt das „Gaudeamus igitur“ durch die Mühle und irgendjemand sucht verzweifelt nach Nußschokolade – die mag der „Doctor humoris causa“ doch so sehr.

Erst spät gehen die Gäste wieder. Um Mitternacht huschten dann zwei dunkle Gestalten um die Mühle. Der eine war einmal König Sigismund zu Aachen, der andere Graf Alef von Cleve. Vor 592 Jahren hatte der Graf dem gerade frisch gekrönten Monarchen zugeflüstert, „dass sein nunmehr in Gott ruhender Vater im Jahre des Herrn 1381 mit den Ritterbürtigen seines Herzogstums einen Geckenorden gestiftet habe und wie denn endlich die Bürger der getreuen Stadt Dülken des Narrentums ebenfalls nicht ferner ledig gehen wollen, sondern eine bürgerliche Akademie zu stiften beabsichtigen“. Eine bürgerliche Akademie? Der schöne Sigismund soll sich damals vor Lachen bald in die Hose gemacht haben. Heute finden die Geister neben der Mühle die papiernen Reste der Nussschokolade und schauen sich verdattert an. Ein gewisser Rüttgers sei jetzt Doktor der Dülkener Narrenakademie, flüstert der Graf. „Ein Bürgerlicher?“ fragt der König. Und Sigismund prustet wieder los.