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Archiv-Artikel

Das Chaos kontrollieren

China: Katastrophen-Berichterstattung bald nur noch mit offizieller Erlaubnis

Wochenlang belog Peking vor drei Jahren die chinesische Bevölkerung über die Gefahren der Lungenkrankheit Sars. In Nordchina verschwiegen die Behörden im vergangenen Herbst nach der Explosion einer Chemiefabrik zehn Tage lang die Risiken, die von einem giftigen Benzolteppich auf dem Songhua-Fluss ausgingen: Nur zwei Beispiele für vertuschte Katastrophen, die in China zur Tagesordnung gehören. Mit einem neuen Notstandsgesetz, dessen Entwurf seit Anfang vergangener Woche dem Nationalen Volkskongress vorliegt, will Chinas Staatsrat jetzt besser auf „plötzlich auftretende“ Unglücke und Epidemien reagieren. Die Paragrafen sollen nicht nur bei Naturereignissen wie Überschwemmungen und Erdbeben, sondern auch bei sozialen Unruhen und Bürgerprotesten gelten.

Angeregt durch den Sars-Schock von 2003 stützt der Entwurf sich auf „Erfahrungen in entwickelten Ländern, einschließlich der Vereinigten Staaten, Russlands, Deutschlands, Italiens und Japans“, wie Rechtspolitiker Cao Kangtai vom Staatsrat erklärte. Auch im offiziellen deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialog wurde das Vorhaben debattiert.

Das Notstandsgesetz ist Teil des großen Plans der Kommunistischen Partei, ein „sozialistisches Rechtssystem“ zu schaffen. Das Ziel: das Dickicht der unzähligen und oft widersprüchlichen Regeln und Vorschriften der Zentralregierung und der Provinzen, konkurrierender Ministerien und Parteibüros zu lichten. Manche stammen noch aus Maos Zeiten. Sie legen Chinas Bürokratie häufig lahm und verzögern Entscheidungen, weil es keine klaren Zuständigkeiten gibt.

Wie zweischneidig sich die neue „Rechtsstaatlichkeit“ Chinas allerdings entwickelt, zeigt ein Teil des Entwurfs, der die Berichterstattung der Medien im Katastrophenfall regeln soll. Das Gesetz droht mit Geldbußen bis zu 10.000 Euro für jeden Artikel, der „ohne Erlaubnis der Behörden“ über ein „plötzliches Ereignis“ berichtet. Im Klartext bedeutet das: Chinas Presse bekommt einen noch engeren Maulkorb umgehängt.

Chinesische Journalisten befürchten, dass örtliche Bürgermeister und Parteibosse jede Berichterstattung über unliebsame Themen völlig legal unterdrücken können, etwa über Proteste gegen ihre eigenen korrupten Machenschaften, ihre Beteiligung an illegalen und gefährlichen Bergwerken oder Landraub.

Mit diesem Gesetz reagiert die KP, die soziale Unruhen um jeden Preis vermeiden will, auf die wachsende Schwierigkeit, den Nachrichtenfluss zu kontrollieren: Obwohl die Propagandabehörden den Zeitungen regelmäßig Listen mit den neuesten Tabuthemen zukommen lassen und widerspenstige Publikationen schon mal geschlossen werden, versuchen mutige Journalisten ihre Spielräume immer weiter auszudehnen. Auch im Fall Sars: So brachte eine Pekinger Zeitschrift den Militärarzt Jiang Yanyong im Frühjahr 2003 auf seine Titelseite, der gegen die Vertuschung der Krankheit durch die Behörden protestiert hatte. Jutta Lietsch