Ein deutscher Verleger

SPAZIERGANG Klaus Wagenbach feiert am Sonntag seinen 80. Geburtstag. Sein Leben ist eine kleine Geschichte der Bundes- republik, von den RAF-Schriften bis zum Bundes- verdienstkreuz

 Der Germanist: geboren am 11. Juli 1930 in Berlin-Tegel. Promovierte über Franz Kafka. Selbstbezeichnung: „Kafkas dienstälteste Witwe“.

 Der Verleger: lernte bei Suhrkamp und S. Fischer. 1964 eigener Verlag (zusammen mit Katja Wagenbach) in Berlin-West. Motto: „Geschichtsbewusstsein, Anarchie, Hedonismus“.

 Der Engagierte: gehörte zu den Köpfen der APO. Hatte Einreiseverbot in der DDR. Publizierte Texte Ulrike Meinhofs und der RAF. 1974: Haftstrafe auf Bewährung. 2001: Großes Bundesverdienstkreuz.

 Die Festschrift: „Die Freiheit des Verlegers. Erinnerungen, Festreden, Seitenhiebe“ – eine Sammlung seiner Texte ist 2010 im Wagenbach-Verlag erschienen.

VON WIEBKE POROMBKA

Vollends strahlt Klaus Wagenbach, als schließlich im Schollenkrug zwei Hacksteaks „à la Mayer“ serviert werden. Großzügig gebutterte Bratkartoffeln, buntes Tiefkühlgemüse, über dem Ganzen ein Spiegelei, getrocknete Zwiebelringe als Garnitur. Der Schollenkrug in Berlin-Tegel ist eher ein Gasthaus als ein Restaurant, bunte Tischdecken, handfeste Serviererinnen, ursprünglich war es das Vereinsheim der sozialistischen Siedlung „Freie Scholle“, kleine Einfamilienhäuschen für Berliner Arbeiter, alle im selben Stil, grau verputzt.

Ein paar Straßen weiter, in der katholischen Siedlung, vis-à-vis einer kleinen Kirche, ist Klaus Wagenbach aufgewachsen. Nur die Birke im Vorgarten, die seine Mutter gepflanzt hat, ist geblieben. Das Haus im Liebfrauenweg ist das einzige in der Siedlung, das 1943 von einer Bombe getroffen wurde. Wagenbach war damals bereits mit Bruder und Mutter in den Westerwald, später nach Hessen evakuiert worden, der Vater, allein in Berlin geblieben, kroch leicht verletzt unter den Trümmern hervor. Nun, in einem dunkelroten Wildlederblouson und (natürlich!) roten Socken zur gelben Sommerhose, bleibt Wagenbach eine Weile vor dem Zaun stehen und betrachtet den Garten, der sich im Bogen um das Eckhaus zieht. Vielleicht werde er demnächst einfach mal hier klingeln, sagt er, und den Leuten sein neues Buch vorbeibringen.

„Erinnerungen, Festreden, Seitenhiebe“ heißt der Band „Die Freiheit des Verlegers“ im Untertitel, Texte Wagenbachs aus den vergangen fünf Jahrzehnten sind darin versammelt. Gleich eine der ersten erzählt von der Siedlung und seinem Elternhaus. Ein paar Meter weiter lacht Wagenbach auf, nicht ganz so laut wie später beim Hacksteak. Noch immer derselbe Name steht da auf einem Briefkasten.

Wenn man mit dem Verleger durch die kleine Siedlung schlendert, hinter dem letzten Haus dann zum Tegeler Fließ einbiegt und plötzlich in einer idyllischen Wald- und Wiesenlandschaft steht, durch die sich ein flacher Bach, das Fließ, zieht, kann ein sonniger Vormittag eine erstaunliche Geschichtsträchtigkeit bekommen. Wagenbach, der diesen Sonntag seinen 80. Geburtstag feiert, ist nicht wegzudenken aus der bundesrepublikanischen Nachkriegsgeschichte. Genauso wenig wie sein Verlag, den er 1964 gegründet hat und der mit seinen sattroten Büchern derart markant die literarische und kulturelle Welt, immer wieder aber auch das politische Leben dieser Jahre auf- und durchgewirbelt hat.

Wagenbachs Vita liest sich wie eine Kultur- und Mentalitätsgeschichte. Deutschlands meistvorbestrafter Verleger ist der kleine Mann, der in den siebziger Jahren Manifeste der RAF und den Text zu einem Fernsehspiel von Ulrike Meinhof veröffentlichte und das Ideal hatte, einen gesamtdeutschen Verlag zu gründen. Nachdem er Texte von Wolf Biermann veröffentlicht hatte, wurde er von der DDR mehrere Jahre mit Ein- und Durchreiseverbot belegt. Und wenn er sich selbst als „dienstälteste Witwe Kafkas“ bezeichnet, dann steckt hinter dieser etwas flapsigen Formulierung eine wahrhaft bahnbrechende literaturwissenschaftliche Leistung. Angefangen mit seinen Recherchen in den Archiven der Prager Versicherungsanstalt hat Wagenbach beharrlich – und zum nicht geringen Unwillen von Kafkas Begleiter, Nachlassverwalter und Biografen Max Brod – darauf gewirkt, Kafka zu entmythologisieren und zu entmystifizieren.

Wagenbach, das steht für ein provokantes Einmischen in öffentliche Debatten, aber auch für die Liebe zur Sprache. Engagement und Ästhetik – etwas, das leider allzu häufig auseinanderfällt. Bei Wagenbach ist das eine ohne das andere nicht zu denken und er verkörpert beides mit fröhlicher Vehemenz.

Das hier sei die Rettung gewesen. Wagenbach bleibt stehen, deutet auf die abgesenkten, von Schilf bewachsenen Wiesen und atmet wie nachträglich erleichtert auf. Nachdem er mit seiner ersten Frau Katia und ihren drei kleinen Töchtern Anfang der sechziger Jahre von Frankfurt nach Berlin gekommen war, seien sie nahezu jedes Wochenende hier rausgefahren, ans Tegeler Fließ, und die Kinder hätten spielen können, wo auch er seine Kindheit verbrachte. In der Wohnung sei es viel zu eng gewesen. „Oh Gott, war das chaotisch“, sagt er und lacht bei der Erinnerung an Zeiten, in denen die Wohnung gleichzeitig Verlagssitz gewesen ist, als während der Studentenbewegung zuweilen wildfremde Menschen auf den Fluren und in den Zimmern kampierten.

Eigentlich lacht Wagenbach ständig, und immer muss man mitlachen. Manchmal seien auch Günter Grass und er gemeinsam zum Pilzesammeln hierhergekommen, fünf Kinder dabei, drei von ihm, zwei von Grass. „Haben wir alle gemeinsam gemacht“, habe Grass den Entgegenkommenden zugerufen. Anekdoten aus Wagenbachs frühen Jahren. Bei all seiner Freundlichkeit ist er aber auch ein Mann der klaren Ansagen. „Noch drei Schuss haben Sie, dann hab ich keine Lust mehr!“, ruft er der Fotografin zu, lässt sich von ihr dann aber doch noch für ein weiteres Bild auf die schmale Holzbrücke dirigieren, die über das Fließ geht. „Sie ist streng“, er nickt anerkennend. „Das find ich gut.“

Dass er nicht nur ein Faible für Frauen, sondern vor allem eines für entscheidungsstarke Frauen habe, betont Wagenbach immer wieder

Dass er nicht nur ein Faible für Frauen, sondern vor allem eines für entscheidungsstarke Frauen hat, betont Wagenbach immer wieder. Die Leitung seines Verlags habe er 2002 in die Hände seiner dritten Frau Susanne Schüssler gegeben, anstatt wie Siegfried Unseld Gremien einzusetzen, unter denen ein Verlag aufgerieben würde. Oder gar wie Egon Ammann in der Überzeugung, keine geeignete Nachfolge zu finden, das Programm des Verlags einzustellen.

Wagenbach ist, in allem, was er sagt und macht, Emphatiker. Wenn er von Büchern schwärmt, genauso, wie wenn er von seiner Erleichterung über den 8. Mai 1945 erzählt. „Das ist ein Glück“, sagt er, „das reicht für ein Leben.“ Genauso leidenschaftlich ist er, wenn er sich über Dinge ärgert. Darüber, dass wir nicht regiert werden, wie er findet. In den Hintern treten hätte die Merkel der FDP doch sollen, nicht ihr in den Hintern kriechen. Beim Namen Christian Wulff verdreht er nur verzweifelt die Augen. „Geboren in Hannover, zur Schule gegangen in Hannover, studiert in Hannover, Ministerpräsident in Hannover.“ Das stimmt zwar faktisch nicht ganz, Wulff stammt aus Osnabrück, aber man hat selten eine pointiertere Charakterisierung des neuen Bundespräsidenten gehört.

Eine Biografie brauche doch Kurven. Wagenbach, der zwischendurch für eine Weile auf einer Bank Platz genommen hat, schüttelt den Kopf und blickt kichernd einer Joggerin nach: „Läuft wie eine Ente.“ Stundenlang könnte man hier sitzen und sich von ihm über Fingerhut und andere Kräuter, die am Wegesrand wachsen, erzählen lassen (Wagenbach war nach dem Krieg Apothekergehilfe und hat die Zutaten für die Tinkturen selber im Wald zusammengesucht) oder über die Wochen, die er regelmäßig in seinem Haus in der Toskana verbringt. Am schönsten aber ist, wenn Wagenbach einfach nur über die Sprache spricht und die kleinen Nuancen und Verschiebungen vormacht, die aus einem Satz etwas ganz anderes werden lassen.

„So“, sagt Wagenbach auf einmal und steht von der Bank auf. „Jetzt lade ich Sie in den Schollenkrug ein.“ Lauschig ist die Terrasse nicht eben, Lastwagen donnern vorbei. Wagenbach strahlt, isst sein Hacksteak und die, seien wir ehrlich, gnadenlos fettigen Bratkartoffeln und flötet vergnügt, ein wenig triumphierend, in sein Handy: „Susanne, rate mal, was ich gerade esse?“ Es braucht nicht viel prophetische Kraft, um zu ahnen, dass die Verlegerin und Ehefrau solch vorstädtischen Mittagsmenüs wenig abgewinnen kann.