BERNHARD PÖTTERDIE RETTUNG DER WELT : Die Natur ist kein guter Vertragspartner
Daran krankt die Sache mit dem Umweltschutz: Mit den blöden Tauben kann man eben einfach keine Deals schließen. Schon gar nicht, wenn es ums Kirschenessen geht
Diese Kolumne ist eigentlich nicht dazu da, sich über Mutter Natur und ihre Sprösslinge aufzuregen. Aber es muss auch Ausnahmen geben. Die Tauben in unserem Kirschbaum zum Beispiel.
In unserem kleinen Garten ist ein lebhafter Verwertungskreislauf in Gang gekommen: Hunderte Kirschen auf dem Boden locken die Mäuse an, Mäuse locken die Katzen an, Katzen locken die Kinder an.
Nur oben im Baum herrscht anarchisches Geflatter. Spatzen, Stare und Tauben machen uns Futterkonkurrenz. Also habe ich ihnen als rationaler Öko einen Vorschlag gemacht: „Okay“, sagte ich, „ich verstehe, dass ihr die Kirschen mehr braucht als wir. Aber es gibt auf diesem Baum Äste voller saftiger Kirschen, wo wir niemals hinkommen – die reichen locker für euch. Wir nehmen die, an die wir mit dieser lächerlichen Leiter rankommen. Dann sind doch alle glücklich.“ Aber die blöden Viecher haben kein Interesse an friedlicher Koexistenz.
Sie lassen die obersten Kirschen verfaulen, die an so dünnen Zweigen kleben, dass selbst unser suizidgefährdeter Sechsjähriger da nicht raufklettert. Und futtern die Kirschen in unserem Bereich, picken sie an oder kacken drauf. Die Folge: Nerverei, Scheucherei, Schreierei. Es zeigt sich wieder mal: Mit der Natur kann man keine Deals schließen. Aber wir Menschen sehen das nicht ein. Schließlich organisieren wir auf diese Weise unsere Beziehungen: Arbeit gegen Geld, Ausgleich gegen Schaden, Liebe gegen Treue. Wir versuchen das auch mit der Natur: „Ausgleichsmaßnahmen“ für trockengelegte Frösche, Aufforstung von Regenwald durch Palmölplantagen, Strafzahlungen für verseuchte Flüsse oder Kompensation für den Urlaubsflug. Das ist zwar alles sehr menschlich, aber der Umwelt letztlich schnurzegal. Einen Ablass für Umweltfrevel gibt es nicht. Eine ausgerottete Art ist weg, da hilft keine WWF-Spende.
Mit dem naturwissenschaftlichen System Natur sind unsere soziologischen Konstrukte nicht kompatibel. Das Gerede vom Umweltschutz ist deshalb fatal, weil die Umwelt sich für unseren guten Willen nicht dankbar zeigen wird. Wenn das Klima kippt, gibt es keine Bonuspunkte für gutes Betragen.
Mit den blöden Tauben haben wir übrigens inzwischen doch einen Deal: Jeder isst so viel, wie er kann, denn es gibt in diesem Jahr unglaublich viele Kirschen. Das ist Laisser-faire, wie es selbst die FDP heute nicht mehr fordert. Die Ressourcen sind praktisch unbegrenzt, jedenfalls im Sommer 2010.
Im nächsten Jahr werden die Vögel dann verhungern. Selbst schuld. Sie hätten sich ja an der Börse mit Futures gegen den Ausfall der Ernte 2011 absichern können.
■ Bernhard Pötter ist Journalist und Kirschendealer Foto: privat