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Archiv-Artikel

„Die Finanzierungsprobleme bleiben“

Der Gesundheitsexperte Jürgen Wasem beklagt: „Die Änderungen im Gesundheitswesen entsprechen homöopathischen Dosen.“ Immerhin führe die Reform zu etwas weniger Bürokratie bei den Krankenkassen

taz: Herr Wasem, ist dieses Reformpogramm der großen Koalition wirklich ein Paradigmenwechsel?

Jürgen Wasem: Nein, das ist es nicht. Auf der Ausgabenseite wurden einige sinnvolle Schritte unternommen, etwa dass die Krankenkassen Einzelverträge mit Ärzten und Pharmafirmen schließen dürfen. Aber auf der Einnahmeseite bleiben die Reformen ganz deutlich hinter den Erwartungen zurück.

Inwiefern?

Die Änderungen entsprechen homöopathischen Dosen. Das Gesundheitssystem wird sogar mit weniger Steuermitteln als bisher auskommen müssen, die Finanzierungsprobleme bleiben. Wirklich jämmerlich ist ja, dass diese Probleme durch die Politik selbst verursacht worden sind, indem die Einnahmen aus der Tabaksteuer in Höhe von 4,2 Milliarden Euro gestrichen werden und die Mehrwertsteuer erhöht wird.

Hat die Politik der Bundesregierung versagt?

Sie hatte nicht den Mut, wirklich durchgreifende Maßnahmen zu ergreifen. Doch etwas freut mich: Man hätte annehmen können, dass die Koalition von einer Art Defizitdeckpanik gepackt wird und Einsparungen im Leistungskatalog vornimmt. Das ist nicht geschehen.

Das einzig Neue ist der von Ihnen mitentwickelte Gesundheitsfonds? Aber braucht man den denn wirklich?

Man braucht ihn nicht zwingend. Aber er hat zwei Vorteile: Einerseits werden nicht mehr die Kassen selbst die Beiträge einziehen, sondern regionale Beitragseinzugsstellen. Das führt erstens zu weniger Bürokratie. Zweitens haben Kassen mit einkommensstarken Mitgliedern keinen unmittelbaren Vorteil mehr davon. Das bedeutet ein Mehr an Gerechtigkeit.

Das müssen Sie erläutern.

Bisher konnten Kassen über den einkommensabhängigen Teil ihrer Mitglieder verfügen. Über den Risikostrukturausgleich haben Kassen mit älteren und damit häufiger kranken Mitgliedern einen Zuschlag erhalten, aber Satzungsleistungen und Verwaltungsaufwand waren nicht im Ausgleich enthalten. Das hat zu Unterschieden zwischen den Krankenkassen bis zu einem halben Beitragspunkt geführt. Da der Risikostrukturausgleich nun über den Fonds erfolgt, sorgt das aus mittlerer Sicht für einen Ausgleich.

Wie entscheidend ist der Risikostrukturausgleich in Ihrem Fondsmodell?

Der ist zwingend. Umso mehr, wenn mehr Wettbewerb stattfinden soll. Denn eins zeigt die internationale Erfahrung recht deutlich: Jedes Instrument, das im Vertragswettbewerb genutzt wird, kann tendenziell auch zur Risikoselektion benutzt werden. Wenn man es zum Beispiel den Kassen überlässt, mit den Ärzten Einzelverträge abzuschließen, dann kann die Kasse mit allen außer mit guten Diabetologen Verträge abschließen, damit sie möglichst keine Diabetiker aufnehmen müssen. Je mehr Spielraum die einzelnen Kassen beim Vertragswettbewerb bekommen, desto besser muss die Kompensation sein. INTERVIEW: ANNA LEHMANN