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Archiv-Artikel

Mit Blumen gegen Autoscheiben

Sie bezeichnet sich als Zoologin des weiblichen Körpers und fürchtet keine Provokation: In Zeitlupe erforscht die Schweizerin Pipilotti Rist in ihrem Video „I Want to See How You See“ den Körper einer Künstlerkollegin. Ab heute ist die Arbeit in Hannover zu sehen

Grenzüberschreitungen sind ihr Metier, Skepsis seitens der Kunstkritik hat sie nie gefürchtet: Mit „Pickelporno“, einem erotischen Video aus weiblicher Sicht, hat die Videokünstlerin Pipilotti Rist 1992 von sich reden gemacht. Schon Mitte der 80er war sie ins Visier feministischer Kunstkritik geraten, die die 1962 geborene Schweizerin auch dafür schätzte, dass sie weibliche Perspektive nie gegen männliche ausspielte und vordergründige Wertungen vermied.

Im Zeitlupentempo gleitet die Kamera auf dem Video „I Want to See How You See“, das ab heute im Sprengel Museum Hannover gezeigt wird, am Körper Cornelia Providolis entlang, einer Kollegin der Künstlerin. Überlappungen, bizarre Farbüberlagerungen und teils selbst verfasste Popsongs hinterfangen die Installation, die das Museum im vorigen Jahr erwarb. Als rhythmisierter Hexenspruch versteht sich Rists audiovisuelle Erzählung, die die Geschichte des Frauenkörpers bis in die Kindheit hinein erkundet.

Unabdingbar ist für Rist dabei stets die musikalische Komponente: Als „Schweizer John Lennon“ bezeichnet, hat sie von 1986 bis 88 in der Rockband und Performance-Gruppe „Les Reines Prochaines“ Schlagzeug, Flöte und Bass gespielt und etliche ihrer Videos um Popsongs angereichert. Die Arbeit „I‘m Not the Girl Who Misses Much“ etwa, ein selbstironisch-frenetischer Tanz der barbusigen Künstlerin, ist unterlegt von manisch wiederholten Strophen aus John Lennons „Happiness is a Warm Gun“, gesungen von Rist selbst. Schärfe und Tempo des Videos schwinden dabei ständig, bis Realität und Traum verfließen.

Als farblich und perspektivisch verfremdete Erzählungen kommen auch Rists weitere Arbeiten daher; Körper in mikroskopische Teilchen zu zerlegen bereitet ihr stetiges Vergnügen. Rists „Homo sapiens“ illustriert es deutlich: Fast abstrakt wirken hier Augenlid und Fingernagel, von denen aus die Kamera jäh ins Gewölbe einer Kathedrale schwenkt. Eine totale optische Bevormundung des Betrachters also – und nicht nur das: „Open My Glade“ (Öffne meine Lichtung) heißt ein Video, aus dem die Gefilmte sichtlich auszubrechen wünscht; wie eine Gefangene presst sich Gesicht und Händen gegen den Bildschirm. Doch die Kamera ist gnadenlos: Zweidimensionale Illusion soll sie bleiben, auf ewig durch eine unsichtbare Scheibe vom Betrachter getrennt.

Schließlich wären da noch Videos wie „Ever is Over All“ auf denen Rist mit Hilfe einer Riesenblume Autofenster einschlägt. Metapher für den Sieg des Sanften über das Harte? Traum von einer Übermacht der Pflanzen? Vielleicht auch einzig Illusion. Real jedenfalls ist, was Pipilotti Rist selbst über ihr Tun gesagt hat: „Ohne Respekt vor der Technik reite ich der Sonne im Computer entgegen und mische mit der Hirnzunge die Bilder knapp vor und knapp hinter den Augendeckeln. Für mich sind Frauen wie eine Tierart, die ich untersuche. Ich bin eigentlich Zoologin und spezialisiert auf die Kultur der Frau. Mich interessiert dieser Schlamassel, den wir haben, und die verschiedenen Geschwindigkeiten. Unsere Phantasie ist viel weiter als die Realität.“ PETRA SCHELLEN

Die Ausstellung „I want to See How You See“ ist bis zum 8. 10. im Sprengel Museum Hannover zu sehen