Esst das Kraut mal ohne Rock

KONZERT Es war ein Generationentreffen deutscher Elektroniker in der Volksbühne. Da trafen die Krautrock-Pioniere von Cluster auf ihre jüngeren Kollegen Thomas Fehlmann und Von Spar und ließen einen Fluss musikalischer Ereignisse durch den Saal strömen

Mit dem Krautrock hat es eine seltsame Bewandtnis. Abgesehen davon, dass er im eigenen Land lange Zeit eher belächelt wurde: Ein Großteil der Musik, die bannfluchartig mit diesem Namen belegt wurde, hat überhaupt nichts mit Rock zu tun. Diese unzulässige Verallgemeinerung versuchte die Volksbühne am Samstag zu korrigieren. Sie lud die Elektronikpioniere Cluster zu einem Abend unter dem Titel „Elektrisches Kraut“. Doch wollte man kein Veteranentreffen inszenieren. Stattdessen kam es zu einer Begegnung mit dem etwas jüngeren Thomas Fehlmann und der noch etwas jüngeren Band Von Spar.

In Berlin kochte das bisher heißeste Wochenende des Jahres mit überfüllten Badeseen und Hitzschlaggefahr im Freien, und dann lief auch noch das Weltmeisterschaftsspiel um den dritten Platz. In der Volksbühne hatte man diese Gefahr erkannt und für fußballbegeisterte Musikfreunde vorab eine Übertragung des Spiels angeboten, sodass man zur Einstimmung den Kraut-Kickern bei ihrer Begegnung mit Uruguay zusehen konnte. Als Dieter Moebius und Hans-Joachim Roedelius von Cluster die Bühne betraten, war der Saal angemessen gefüllt.

Gegen was Hartes stoßen

Moebius und Roedelius sind das beste Beispiel dafür, dass man in der elektronischen Musik sehr entspannt älter werden kann, ohne Rockopa-Peinlichkeiten fürchten zu müssen. Gemeinsam kommen sie auf mehr als 130 Jahre, was ihre Zuhörer, die fast ausnahmslos auch ihre Kinder hätten sein können, jedoch nicht weiter störte.

Musikalisch bewegt sich das Duo schon immer auf sehr unabhängigen Wegen. Allenfalls technische Neuerungen haben einen Einfluss auf ihre Arbeitsweise. Laptops benutzen Cluster allerdings keine, sondern arbeiten auf der Bühne mit vorbereiteten Samples, die sie als Loops einer gründlichen Bearbeitung unterziehen. Erwartungen beim Hörer kommen da gar nicht erst auf, zu schnell ändert sich der Fluss der Ereignisse, in dem fast alles möglich ist und man durch Klänge ohne Takt zu schwimmen meint, wobei man hin und wieder gegen etwas Hartes stößt. Fast alles möglich ist auch bei Von Spar aus Köln, einer Band, die sich ihre Stilzutaten von Album zu Album neu zusammensucht. Aktueller Stand ist eine konsequente Durcharbeitung von Achtziger-Synthiepop mit den motorischen Mitteln des Krautrock.

Mit zu viel Ernst

Die sparsamen Beats und Melodien von Kraftwerk werden bei Von Spar mit dem insistierenden Rhythmus von Neu! verschaltet, alles verbunden mit großer Freude am Entdecken von neuen Sounds. Im Konzert gelang die Balance zwischen stoischer Mantra-Euphorie und Monotonie nicht immer. Die Sache war dann doch zu statisch und mit etwas zu viel Ernst vorgetragen, der Saal begann sich langsam zu leeren.

Mit den verbliebenen Zuhörern konnte sich Thomas Fehlmann schnell einigen. Als Keyboarder von Palais Schaumburg ist er zur Legende geworden. Heute produziert der Wegbereiter des Techno in Deutschland eine idiosynkratische Version von Dubtechno, bei der sich Sinn für Humor und der Wunsch nach Bewegung manchmal im Weg stehen. Nicht so am Samstag. In kürzester Zeit gelang es Fehlmann, mit den Tracks seines neuen Albums „Gute Luft“ eine kollektive Kopfnickbewegung ins Leben zu rufen. Es dauerte nicht lange, bis sich die ersten Gäste zum Tanzen erhoben. Schön, dass bei ihm keine Videos im Hintergrund laufen mussten. Denn die Beiträge zuvor wären allesamt nicht nötig gewesen. TIM CASPAR BOEHME