: Das ist kein Spaß
AUS WARSCHAU GABRIELE LESSER
Polens Presse war gestern voll von Spekulationen: Die „deutsche Krankheit“ habe Polens Staatspräsidenten Lech Kaczyński gepackt. Nur deshalb habe er kurzfristig seine Teilnahme am sechsten deutsch-polnisch-französischem Treffen in Weimar abgesagt, war zu lesen. Und: Schuld an der plötzlichen „Unpässlichkeit“ des Präsidenten sei ein Artikel, der am 26. Juni in der taz mit dem Titel „Polens neue Kartoffel. Schurken, die die Welt beherrschen wollen“ erschienen war.
Statt also nach Deutschland zu fahren und mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac das „Weimarer Dreieck“ neu zu beleben, ließ Kaczyński einen Arzt rufen. Dieser diagnostizierte prompt eine Magen-Darm-Verstimmung.
Die polnische Regierung dementierte gestern zwar, dass der taz-Artikel der Grund für die Absage Kaczyńskis sei. Zugleich jedoch brachten Regierungsmitglieder ihre Empörung über den Text deutlich zum Ausdruck und forderten eine Reaktion der deutschen Behörden. „Das kann so nicht stehen bleiben“, klagte etwa Premier Marcinkiewicz im polnischen Fernsehen. Der taz-Artikel sei ordinär und beleidigend für das polnische Staatsoberhaupt. „Es ist kaum vorstellbar, dass in Polen sich jemand erlauben würde, so über ein Staatsoberhaupt herzuziehen.“ Die polnische Botschaft in Berlin habe bereits interveniert. „Es muss eine Reaktion geben!“, so Marcinkiewicz.
Außenministerin Anna Fotyga nannte es „beunruhigend und sehr enttäuschend“, dass eine Reaktion der deutschen Behörden auf den Artikel völlig ausgeblieben sei. In dem kritisierten Artikel war das schwierige Verhältnis Kaczyńskis zu Deutschland ironisch behandelt worden. „Oft genug hatte der ranghöchste Pole ausposaunt, er kenne von Deutschland nicht mehr als den Spucknapf in der Herrentoilette des Frankfurter Flughafens“, hieß es etwa. „Man war sich im Klaren über Kaczyńskis schwarzes Weltbild, in dem seit dem Mittelalter jeder Deutsche auf vollen Pferden gen Osten sprengt.“
Der Staatssekretär der Präsidialkanzlei Krawczyk trat wegen des Satireartikels in der taz sogar in „Kontakt mit Personen im engsten Umfeld der Kanzlerin Merkel“. Die Präsidialkanzlei habe ihre Empörung über den geschmacklosen Artikel ausgedrückt und erwarte nun von der deutschen Seite „Kritik, Mitgefühl und Ablehnung solcher Publikationen über den Präsidenten eines mit Deutschland befreundeten Staates“.
In Berlin gab man sich indes zurückhaltend. „Unter Verweis auf die in Deutschland geltende Pressefreiheit kommentieren wir diesen Vorgang nicht“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes zur taz. Es komme in Deutschland häufig vor, dass man über einen journalistischen Artikel oder auch eine Karikatur geteilter Meinung ist.
Die Aufregung in Polen lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass kaum ein Journalist und auch kein Politiker den satirischen Charakter des Textes begriffen hat. Dass der Artikel auf der „Wahrheit“ erschien, der letzten Seite der taz, auf der über alles und jeden gelästert wird, ging in der allgemeinen Aufregung unter.
Eine Aufregung, die zudem ganz praktische Konsequenzen hatte. So feuerte Außenministerin Fogyta, enge Vertraute des Präsidenten, ihren Pressesprecher, der die taz-Satire im Internet-Pressespiegel des Ministeriums veröffentlicht hatte.
Auch die taz-Korrespondentin kann nun eigentlich ihre Koffer packen. „Das polnische Außenministerium wird nie wieder mit einem Journalisten der tageszeitung reden“, so Andrzej Sados, der neue Pressesprecher des Ministeriums. Dafür rufen bei der taz-Korrespondentin permanent anonyme Anrufer an und stoßen wüste Beleidigungen und Drohungen aus. Mit Polen ist eben nicht zu spaßen.
Das abgesagte Treffen des „Weimarer Dreiecks“ soll nach polnischen Angaben übrigens so schnell wie möglich nachgeholt werden. Sobald der Präsident sich von seiner Magen-Darm-Erkrankung erholt hat.