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Archiv-Artikel

Den Kosovo haben sie nie gesehen

AUSWEISUNGEN Zwei von Abschiebung bedrohte Jugendliche wechseln in Göttingen das Kirchenasyl, weil wegen der Ferien keine Betreuung möglich ist. Neue Gerichtsverfahren sollen Abschiebungen verhindern

Als Reaktion auf die Flucht ins Kirchenasyl ließ das Ministerium die Roma zur Fahndung ausschreiben

Nach drei Wochen im Kirchenasyl haben zwei von Abschiebung bedrohte Jugendliche aus dem Kosovo die Göttinger Christophorus-Kirche verlassen. Ramadan und Jetmir Kryeziu hätten jetzt Zuflucht in einer anderen Kirche gefunden, teilten Unterstützer mit. Der Wechsel sei nötig geworden, weil wegen der Urlaubszeit kein hauptamtlicher Mitarbeiter der Christophorus-Gemeinde die Flüchtlinge in den Ferien begleiten könne.

Die 19 und 23 Jahre alten Brüder sollten am 22. Juni gemeinsam mit 23 weiteren Roma aus Göttingen in den Kosovo abgeschoben werden. Ihre erkrankten Eltern und ein jüngerer Bruder erhielten in letzter Minute Abschiebeschutz vom Verwaltungsgericht. Ab einem Alter von 16 Jahren durchlaufen Eltern und Kinder getrennte Asylverfahren.

Die Flüchtlinge im Kirchenasyl haben beim niedersächsischen Oberverwaltungsgericht Beschwerde gegen die Abschiebung eingelegt. Auch vor dem Göttinger Verwaltungsgericht stellten die Brüder einen weiteren Eilantrag auf Rechtsschutz.

Ein weiterer Jugendlicher aus dem Kosovo, der zunächst ebenfalls in die Christophorus-Kirche geflüchtet war, ist inzwischen zu seiner Familie nach Hamburg gereist. Er will dort einen neuen Asylantrag stellen.

Die Familie Kryeziu kam vor 20 Jahren nach Deutschland. Seit zehn Jahren lebt sie in Göttingen mit der Angst vor einer Abschiebung. Ihre Duldung sei zuletzt immer nur für einen oder zwei Monate und schließlich gar nicht verlängert worden, sagt Göttingens Ausländerpastor Peter Lahmann. Unter diesen Voraussetzungen fand sich kein Arbeitgeber, der einen Job oder einen Ausbildungsplatz anbieten wollte.

Jetmir Kryeziu steht vor seinem Realschulabschluss, er jobbte bis vor drei Wochen nachmittags bei McDonalds, abends kickte er in einem Göttinger Fußballverein. Den Kosovo hat Jetmir nie gesehen. „Ich fühle mich als Deutscher“, sagt er. „Wir kennen die deutsche Politik und die deutsche Geschichte, im Kosovo kennen wir nicht mal den Namen vom Präsidenten.“ Jetmir sei dennoch „nicht hinreichend integriert“, entschied das Göttinger Verwaltungsgericht.

Die Stadt Göttingen ist nach Angaben der Unterstützer über den neuen Aufenthaltsort der Brüder informiert worden. Die Flüchtlinge sind insbesondere über den harten Kurs des niedersächsischen Innenministeriums besorgt. Als Reaktion auf die Flucht ins Kirchenasyl ließ das Ministerium die Roma zur Fahndung ausschreiben. REIMAR PAUL