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Archiv-Artikel

Gutes Essen ohne Agrarindustrie

„Wir haben es satt!“ – Mit einer bundesweiten Großdemo und veganen Aktionstagen wird für eine bäuerliche und ökologische Landwirtschaft ohne Tierfabriken protestiert

Termine

■ „Wir haben es satt!“-Demo Samstag, 18. Januar, 11 Uhr, Potsdamer Platz, Programm und mehr: www.wir-haben-es-satt.de

■ Grüne Woche demaskieren! Radikal vegane Aktiontage vom 16. bis 26. Januar, Termine auf dieser Seite unten in der Wochenübersicht oder online unter: www.gruenewoche.blogsport.de

Ein Schwein zu sein ist hierzulande alles andere als schön. In den ersten Lebenstagen werden die Schwänze der Ferkel abgeschnitten, damit sie massenhaft auf engen Flächen gehalten werden können, ohne den dadurch aufkommenden Kannibalismus ausleben zu können. Je nach Gewicht steht den Mastschweinen während ihres Daseins eine gesetzlich vorgesehene Mindestbodenfläche von 0,5 bis 1 Quadratmeter zur Verfügung. Bis zur Fahrt in den Schlachthof werden regelmäßig Antibiotika verabreicht und gewöhnlich genmanipuliertes Futter vorgesetzt. Schnellstmöglich sollen die Masttiere an Gewicht zunehmen. So laufen jährlich weit über 50 Millionen Schweine vom Band – damit der Verbraucher täglich etwas zu beißen hat.

Am kommenden Samstag gehen in Berlin nun zum vierten Mal zahlreiche Verbände, Initiativen und Unterstützergruppen auf die Straße, um gegen die zunehmende Industrialisierung der Landwirtschaft und für eine artgerechte Tierhaltung zu demonstrieren. „Das Thema hat großen Anklang gefunden, denn jedes Jahr kommen mehr Gruppen und Demonstranten dazu. Mittlerweile zählt unser Bündnis über 100 Partner“, berichtet Iris Kiefer, zuständig für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. „Dies zeigt, dass der Skandal um die Situation in der Landwirtschaft täglich weiter besteht und die Politik endlich reagieren muss“, fügt Jochen Fritz, Pressesprecher des Bündnisses, hinzu.

Für Fritz konnte die Bewegung schon erste Erfolge verbuchen, die etwa in der Novellierung des Bundesbaugesetzes zur Auflagenverschärfung beim Bau großer gewerblicher Tierhaltungsanlagen sichtbar werden. Auch soll in Niedersachsen künftig das Kupieren von Hühnerschnäbeln untersagt werden. Und Nordrhein-Westfalen hat das massenhafte Töten von wirtschaftlich nicht nutzbaren männlichen Hühnern in der Eierproduktion bereits verbindlich verboten. „Es gibt auf regionaler Ebene positive Entwicklungen, aber die große Kehrtwende steht noch aus“, sagt Fritz. Für ihn enttäuscht der Koalitionsvertrag alle dahingehenden Erwartungen. „Das ist ein Grund mehr, am kommenden Samstag zu kommen und zu zeigen: Wir haben Agrarindustrie satt!“

Auch die internationale Beteiligung am Demo-Bündnis wächst. Neben zahlreichen Gruppen aus europäischen Ländern werden in diesem Jahr zum ersten Mal auch Aktivisten aus Afrika auf der Bühne stehen. Auf der Abschlusskundgebung vor dem Bundeskanzleramt wird zudem die US-Aktivistin Karen Hansen-Kuhn gegen das geplante Transatlantische Freihandelsabkommen (Tafta) anreden. Dieser völkerrechtliche Vertrag soll Handelshemmnisse im Warenverkehr zwischen den USA und der EU abbauen. Kritiker befürchten, dass dies auch zu einer Absenkung des Verbraucherschutzes in der EU führt und gesundheitsgefährdende Produkte den europäischen Markt überschwemmen könnten. In einer Stellungnahme hat die Europäische Kommission dagegen betont, dass das Handelsabkommen an dem Verbot etwa von Chlorhähnchen und hormonfreiem Rindfleisch in der EU nichts verändern wird. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass durch das Abkommen zumindest der allgemeine Trend einer Liberalisierung etwa bei gentechnisch veränderten Produkten in Europa weiter angeheizt wird.

Parallel zu der Demonstration organisiert das Bündnis „Grüne Woche demaskieren“ unabhängig von „Wir haben es satt!“ mehrere Aktionen vor dem Messegelände ICC. Dort findet die weltgrößte Messe für Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau namens „Grüne Woche“ statt. Im Fokus der Aktivisten steht die als modern dargestellte Tierhaltung. „Wir kritisieren die Tiernutzung generell und setzen uns für eine vegane Lebensweise ein“, erklärt Sandra Franz von dem neu gegründeten Bündnis. Für sie und ihre Mitstreiter gehen auch die Forderungen von „Wir haben es satt!“ nicht weit genug. Trotzdem versteht Franz das neue Bündnis nicht als eine Konkurrenz zum alten: „Es ist gut, dass es die große Demonstration gibt. Dem institutionalisierten Protest wollen wir uns nicht anschließen, ihn aber durch kreative und bunte Aktionen erweitern.“ Und so hofft Franz, dass es den einen oder anderen Demonstranten auch zu den vom neuen Bündnis organisierten Veranstaltungen verschlägt, um sich auch die Position der Vegan-Bewegung anzuhören.

FELIX KLICKERMANN