Mehr Transparenz wagen!

MODERNITÄT Abschied von der alten Bundesrepublik: zum Tod des großen Architekten Günter Behnisch

Man muss ja nur wirklich einmal davorstehen. Schon vermittelt einem die Dachkonstruktion des Münchner Olympiastadions fast magisch das Gefühl von Luftigkeit, Eleganz und Weite. Und man denkt sich: Als das gebaut wurde, 1972, mussten sie wirklich geglaubt haben, den Krieg hinter sich gelassen zu haben. Von heute aus kann man gar nicht anders, als in diesem Dach einen großen symbolischen Akt der Selbstvergewisserung eines friedlicheren, besseren Deutschland zu erkennen – wenn man so will: seiner feierlichen Krönung. Mehr Transparenz und Modernität wagen!

Aber man sieht inzwischen auch, wie weit das alles schon wieder weg ist. Mit ihren sanften Hügeln und geschlängelten Wegen hat die gesamte Olympiaanlage etwas Auenlandhaftes. Unwillkürlich kommt einem als Heutigem da dieses fiese Wort „süß“ über die Lippen (was etwas mit dem Niedlichen der Anlage zu tun hat, aber in der Tiefe, glaube ich, auch damit, dass man heute nicht mehr meint, den Zweiten Weltkrieg wirklich hinter sich zu haben; immer noch gibt es Gefühlserbschaften zu verarbeiten).

Der Architekt Günter Behnisch, der dieses Dach entworfen hat, ist am Montag 88-jährig gestorben; der Abschied von ihm bedeutet auch einen weiteren Abschied von der alten Bundesrepublik. Im Krieg ist er noch U-Boot-Kommandant gewesen. Kein Wunder, dass er so viel Wert auf Licht und Luft legte.

Es gibt viel Schönes in seinem Willen für ein demokratisches Bauen zu erkennen, aber auch Ironien und Eigenmächtigkeiten. Sein neuer Plenarsaal in Bonn wurde fertig, als die Weichen für den Regierungsumzug nach Berlin längst gestellt waren. Im Zentrum des Nach-Wende-Deutschlands kam er nicht mehr richtig an. Die Aufgabe, den von ihm als preußisch verachteten Reichstag zu durchlichten, erledigte Norman Foster mit der Kuppel. Behnisch entwarf noch den Neubau der Berliner Akademie der Künste: wieder Licht, Luft, Raum ohne Ende – nur diesmal so verbaut, dass er im Unterschied zum Münchner Olympiastadion für Benutzer weitgehend unbrauchbar ist. DIRK KNIPPHALS