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Archiv-Artikel

Ausschreitungen nach Uniprotesten

In Frankfurt am Main demonstrieren rund 5.000 Studenten gegen die Einführung von Studiengebühren. Statt des Bezahlstudiums fordert DGB-Landeschef Körzell die Wiedereinführung der Vermögensteuer zur Hochschulfinanzierung

FRANKFURT/MAIN taz ■ Was friedlich begann, endete in Gewalt: Gestern Nachmittag versuchte die Polizei gewaltsam, eine Studenten-Blockade der Autobahn Frankfurt–Wiesbaden zu beenden. Augenzeugen zufolge kesselten die Beamten rund 100 Demonstranten auf der Fahrbahn ein. Ein Polizeisprecher bestätigte einzelne Festnahmen.

Dabei hatten die Proteste gegen die Einführung von Studiengebühren so friedlich angefangen. Aus dem ganzen Bundesgebiet waren Studenten nach Frankfurt gereist, um gegen die Gebührenpläne mehrerer Landesregierungen zu protestieren.

In drei Sternmärschen zogen die Studierenden friedlich zum Opernplatz im Stadtzentrum. Die Veranstalter sprachen von 5.000 Teilnehmern, die Polizei von mehr als 3.000.

Das Gros des Protestes gegen die von der hessischen CDU-Regierung für den Herbst 2007 geplanten allgemeinen Studiengebühren von bis zu 1.500 Euro pro Semester konzentrierte sich am Hauptbahnhof und auf dem Campus der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität. Am Ende zählte die Polizei 3.000, der Asta mehr als 5.000 Teilnehmer. Der Verkehr staute sich mehrere Stunden in der Innenstadt.

Vor der FH am Nibelungenplatz zelebrierten die Demonstranten eine symbolische Hinrichtung von Bildung, sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit mit der französischen Revolutionserrungenschaft Guillotine. Vor dem CDU-Büro, Friedberger Landstraße 112, stoppte der Zug. Der Vorsitzende des Asta der FH, Sören Steffe, forderte die Christdemokraten auf, sich der Diskussion zu stellen, aber die graue Sicherheitstür blieb zu. Steffe: „Ihr seid feige, ihr seid arrogant und ignorant!“ Er warf dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) vor, dass er die Landesverfassung missachte, die Studiengebühren bisher ausdrücklich ausschließe.

Das sagte auch der Landesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Stefan Körzell, am Nachmittag auf der Hauptkundgebung vor der Alten Oper. Das „neoliberale Rumgefummel“ an der hessischen Verfassung sei „ein Riesenproblem“. Gemeinsam mit den Studierenden forderte er eine Erhöhung der Vermögensteuern zur Finanzierung der Hochschulen.

Den von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Ausbildungsfonds habe Koch zuerst befürwortet. Er sei „wie ein Tiger gestartet“, dann aber auf Druck der Arbeitgeberverbände „wie ein Bettvorleger gelandet“. Studiengebühren verschärften den „Verdrängungswettbewerb auf dem angespannten Arbeitsmarkt“. Wenn weniger Menschen studieren könnten, würden allein in Hessen noch erheblich mehr Ausbildungsplätze fehlen. Auch drohe ein Fachkräftemangel.

Studentenvertreter Amin Benaissa hatte schon am Vormittag gesagt, er werde „nach der Demo sehr, sehr zufrieden“ sein: „Ich brauche nicht unbedingt 10.000 Menschen.“ Wichtiger sei ihm die Vernetzung sozialer Bewegungen, das Zusammengehen mit Arbeitslosen, Behinderten, Gewerkschaften, Personalräten, Emigranten, Schülern und die Akzeptanz des Protestes in der Bevölkerung, der bisher „etwas ambivalent“ aufgenommen werde. Studierende hatten sich bei Kundgebungen der Mitarbeiter von Dresdner Bank und Allianz mit Redebeiträgen solidarisiert. Auf jeden Fall werde der Widerstand wachsen und sicher bis über den Herbst 2007 hinaus durchgehalten werden.

In den vergangenen Wochen hatte es immer wieder kleine und große Demonstrationen und Verkehrsblockaden gegeben. Eine Veranstaltung der Kunsthochschule reflektierte diese Widerstandsform, „die in ihrer materiellen Präsenz die ökonomische Zirkulation“ unterbreche. Der Asta kritisierte gestern noch einmal das harte Eingreifen der Polizei am 21. Juni während der Blockade auf einer Mainbrücke oberhalb der „Main-Arena“, auf der sich zeitgleich die Zuschauer der Fußballweltmeisterschaft drängten. Die Gewerkschaft der Polizei klagte, dass die Landesregierung den falschen Termin für die Erhöhung der Studiengebühren gewählt habe.

Gestern brachte die kürzeste Parole die Stimmung an den Universitäten auf den Punkt: „Roland Koch – Arschloch!“ Sie wurde nach ausgiebiger Diskussion wieder aus dem Repertoire genommen. HEIDE PLATEN