piwik no script img

Archiv-Artikel

„Nest“-Räuber Maurizio Cattelan

Der bloße Verdacht, er könne gestohlen haben, sei eine Unverschämtheit. Das will Maurizio Cattelan wohl sagen, wenn er an Gabriele Schor, Leiterin der Sammlung Verbund in Wien, schreibt: „The mere suspicious that I can have used consciously the work of an other colleague is an insinuation that I can’t bear.“Ansonsten solle sie sich doch an seinen Galeristen Massimo De Carlo in Mailand wenden. Das war’s dann.

Soeben ist die erste Ausgabe der neuen, halbjährlich erscheinenden Kunstzeitschrift TAR (www.tar-art.com) erschienen. Und glänzt gleich in ihrer Cover-Story über den Starkünstler Maurizio Cattelan mit einem handfesten Plagiat. Seine neue Arbeit „Nest“ (unser Ausriss) hat nicht nur ihren Titel mit einer 1979 von Birgit Jürgenssen (1949–2003) geschaffenen Fotoarbeit gemein. Nein, Cattelans Arbeit gleicht ihr bis aufs I-Tüpfelchen. Die hoch interessante Frage, wie er das nun unbewusst hingekriegt haben will, die Arbeit eins zu eins neu (nach) zu erfinden, kann Maurizio Cattelan natürlich Mangels Masse (an stichhaltigen Argumenten) nicht beantworten.

Birgit Jürgenssen zählt zu den international herausragenden Vertreterinnen der feministischen Avantgarde. Inspiriert vom emanzipatorischen Potenzial des Surrealismus, der Freud’schen Psychoanalyse und dem gesellschaftskritischen Diskurs der 68er Generation, der sie angehörte, entwickelte die in Wien geborene Künstlerin seit dem Ende der 1960er Jahre eine vielschichtige und stilistisch mannigfaltige Kunst. Der weibliche Körper und seine Metamorphosen stehen im Zentrum ihrer subtilen zeichnerischen, malerischen und fotografischen Arbeiten. Ihre Arbeit „Nest“, die sich im Besitz der Sammlung Verbund befindet, die das Werk der Künstlerin umfassend sammelt, wurde vielfach ausgestellt, zuletzt in der Ausstellung „Donna: Avanguardia femminista negli anni ’70“ (die taz berichtete am 20. 3. 2010).

Plagiatsvorwürfe sind nichts Neues für Maurizio Cattelan. Bislang kam er damit durch. Wie die Beispiele seiner Exfreundin, der Performancekünstlerin Vanessa Beecroft, Francesca Woodman und nun Birgit Jürgenssen zeigen, bereichert er sich klugerweise besonders gerne am Werk von Künstlerinnen. Das honoriert der Kunstbetrieb: Schließlich bringen gute Ideen nur unter männlichem Namen so richtig fetten Umsatz. Man wende sich an Cattelans Mailänder Galeristen. BRIGITTE WERNEBURG