: „Leider ein ziemlich dürres Konzept“
HARTZ IV Heute startet bundesweit das Modellprojekt Bürgerarbeit. Tina Hofmann vom Paritätischen Wohlfahrtsverband über schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose und Nutzen und Kosten des Vorhabens
■ Die 37-Jährige ist Bundeskoordinatorin für Jugendsozialarbeit beim Paritätischen Wohlfahrtsverband und hat Bürgerarbeitsprojekte begleitet.
taz: Hat Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen mit der Bürgerarbeit das ultimative Konzept gegen Langzeitarbeitslosigkeit gefunden?
Tina Hofmann: Die Arbeitsministerin hat leider ein ziemlich dürres Konzept vorgelegt, das für Langzeitarbeitslose zu wenig Perspektiven entwickelt. Wir können nur hoffen, dass die Jobcenter, die das Konzept mit Leben füllen, gute Ideen haben.
Die Ministerin betont, die Initiative ziele auf schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose ab. Ist für deren Betreuung genug getan worden?
Nein, gerade die arbeitsmarktfernsten Personen werden offensichtlich nicht mitgedacht. Dazu gehören Langzeitarbeitslose, die auch noch persönliche Probleme mitbringen, zum Beispiel psychische Probleme oder Schwierigkeiten, ihren Tag richtig zu strukturieren. Auch Schulden- und Suchtproblematiken werden offensichtlich nicht mitgedacht. Sonst müssten ganz andere Formen der Beschäftigung und Begleitung angeboten werden.
Müssen Bürgerarbeiter künftig jeden Job annehmen? Schließlich umfasst das Konzept auch Sanktionen, möglicherweise also Leistungskürzungen.
Ein großes Manko ist, dass die Bundesregierung versäumt hat, den Betroffenen die Möglichkeit der Wahl unter den unterschiedlichen Plätzen der Bürgerarbeit einzuräumen. Wenn das in den Regionen nicht passiert, dann droht Bürgerarbeit zur Zwangsarbeit zu werden. Wo Menschen betreut werden müssen, besonders im sozialen Bereich, muss es solche Wahlmöglichkeiten geben. Da können sie keine unwilligen Bürgerarbeiter hinschicken.
Neben aller Kritik: Welche Vorteile bringt denn die Bürgerarbeit?
Sie kann, je nachdem, wie sie ausgestaltet wird, für motivierte Langzeitarbeitslose eine Chance auf Beschäftigung sein, vor allem in solchen Regionen, in denen die Arbeitslosenrate hoch ist und in denen es keine Arbeitsmöglichkeiten gibt.
Bürgerarbeit darf keine reguläre Beschäftigung verdrängen, „normale“ Jobs dürfen Bürgerarbeiter also gar nicht übernehmen. Ist das aus Sicht der Bürgerarbeiter sinnvoll?
■ Die Idee: ist nicht neu und wird in einigen Städten schon erprobt. Langzeitarbeitslose Hartz-IV-Empfänger verrichten gemeinnützige Arbeit, begleiten zum Beispiel Behinderte zu Behörden oder musizieren in Kindergärten. Jetzt soll Bürgerarbeit für drei Jahre bundesweit zum Einsatz kommen. 197 Jobcenter nehmen am Projekt teil.
■ Die Finanzierung: Rund 1,3 Milliarden Euro stehen insgesamt zur Verfügung. 690 Millionen Euro stammen aus dem Topf für Hartz-IV-Leistungen, 600 Millionen kommen vom Europäischen Sozialfonds. Für 30 Wochenstunden erhält ein Bürgerarbeiter 1.080 Euro brutto, netto bleiben 900 Euro.
■ Das Besondere: Das Projekt umfasst eine sechsmonatige „Aktivierungsphase“: 160.000 Arbeitslose sollen in reguläre Jobs beziehungsweise andere Maßnahmen vermittelt werden oder sich vom Hartz-Bezug abmelden, um die Kosten nicht explodieren zu lassen. Nur 34.000 von 160.000 Personen erhalten danach einen „Bürgerarbeitsplatz“. (voe)
Die Bundesregierung hat den Anspruch, dass Langzeitarbeitslose nicht in Bürgerarbeit verharren. Sie sollen zurück auf den regulären Arbeitsmarkt. Wenn man diesen Ansatz ernst nimmt, muss man den Bürgerarbeitern aber auch marktnahe Tätigkeiten anbieten. Das ist ohne Frage ein Dilemma, das man in den Regionen jeweils konkret mit allen Beteiligten angehen muss. Erfahrungen, dass so etwas trotzdem klappen kann, gibt es.
INTERVIEW: EVA VÖLPEL