: „Institutionelle Gewalt“
DOKU 1992 erschossen Jäger zwei Rumänen an der Grenze. Ein Film zeigt den rassistischen Kontext
■ 47, Regisseur und Autor. Der Dokumentarfilm „Revision“ basiert auf dem Buch „Grenzfall“ der Co-Autorin Merle Kröger.
taz: Herr Scheffner, in Ihrem Dokumentarfilm „Revision“ rollen Sie einen abgeschlossenen Kriminalfall wieder auf. Was machte den Fall besonders?
Philipp Scheffner: Erfahren haben Merle Kröger, die Co-Autorin, und ich davon 1996 – vier Jahre, nachdem Grigore Velcu und Eudache Calderar auf einem Kornfeld nahe der deutsch-polnischen Grenze von zwei Jägern erschossen wurden. Besonders war da bereits, dass ein Aktivist uns die Namen genannt hat. Bis dato war immer nur von zwei toten polnischen Schleppern oder toten Roma gesprochen worden. Die Jäger hatten sie angeblich für Wildschweine gehalten und wurden später freigesprochen.
Wie lief Ihre Recherche, 18 Jahre später?
Die Angehörigen in Rumänien zu finden, war nicht schwierig. Das zeigt, wie einfach es gewesen wäre, für deutsche Behörden, sie über die Umstände des Todes zu informieren. Das ist aber nicht passiert.
Hat die Justiz versagt?
Ja. Der ganze Fall, das Gerichtsverfahren, der Umgang mit den Angehörigen ist Ausdruck einer institutionellen Gewalt.
Sie erkennen Rassismus?
Im Einzelnen kann man diesen Vorwurf nicht machen. Aber das Zusammenwirken von Fehlern bei der Ermittlung, Beweisen, die verschwanden, und Dingen, die nicht gemacht wurden, hatte Auswirkungen auf die Angehörigen. Weil sie nie informiert wurden, konnten sie keine Nebenklage einreichen und auch keine Entschädigung erwirken. All das ist etwas Typisches, was nur in einem gewissen Umfeld möglich ist.
Was kann ein Film leisten, was ein Gerichtsverfahren nicht vermochte?
Ein Film kann versuchen, den Kontext herzustellen. Die Getöteten waren Teil einer 20- bis 30-köpfigen Gruppe, die später festgenommen wurde und dann in Rostock-Lichtenhagen den Angriff von Neonazis und Anwohnern erlebte. Das zeigt, in was für einem Klima dieser vermeintliche Jagdunfall stattgefunden hat, selbst wenn es ein Unfall war.
Unfall oder Mord, Sie verknüpfen den Fall auch mit europäischer Grenzpolitik?
Es passierte an der deutsch-polnischen Grenze, in der Nähe von Stettin. Damals war das die europäische Außengrenze. Heute ist Rumänien Teil der EU, sie könnten die Grenze einfach passieren und hätten nicht bei Nacht durch ein Feld gehen müssen. Das zeigt, wie willkürlich Grenzen gezogen werden. Die vielen Menschen, die an den EU-Grenzen sterben, sind heute weiter weg. Damals war es näher dran an Deutschland. INTERVIEW: JPB
Sa, 20.30 Uhr, City 46