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Archiv-Artikel

Weltklasse, aber bitte zum Nulltarif

KULTURPOLITIK Wenn Hamburgs neue Schauspielhaus-Chefin Karin Beier am Sonnabend mit einem Antiken-Marathon eröffnet, ist sie die jüngste in einer Ahnenreihe von Intendanten, die immer wieder an der ambivalenten Erwartungshaltung der Hamburger scheiterten

Hamburg verharrt im alten Muster: Fähige Leute werden mit Geld geködert, und wenn sie da sind, beginnt das Controlling

VON PETRA SCHELLEN

Pompöse Verpackung, Weltklasse-Inhalt, und das möglichst zum Nulltarif: Es gibt viele Parallelen zwischen Hamburgs Elbphilharmonie und dem Deutschen Schauspielhaus, das 1899 von einer Aktiengesellschaft gegründet wurde und schon zur Eröffnung retrospektiv wirkte. Denn es war neobarock und rekurrierte bewusst auf die Historie.

Auch die Erwartungen sind in beiden Fällen diffus: Glanz und Bildung erhoffen sich die Hanseaten von der Bespielung der Säle. Im Schauspielhaus gibt es 1.200 Plätze, in der Elbphilharmonie werden es 2.000 sein. Böse Zungen sagen zudem, das Schauspielhaus sei nach Plänen des nicht realisierten Bratislavaer Opernhauses erbaut und ein echtes Schnäppchen gewesen.

„Dieses riesige Haus ist ein Hammer“, sagt Ex-Intendant Friedrich Schirmer. „Allein die Monstrosität des Zuschauerraums ist erschlagend.“ Die Anmutung sei die eines Opernhauses mit zu zu kleinem Orchestergraben. „Da braucht man viel Kraft, um sich nicht den Schneid abkaufen zu lassen.“ Wenn also die neue Chefin Karin Beier das Haus am 18. Januar mit dem Sieben-Stunden-Antikenmarathon „Die Rasenden“ eröffnet, tut sie das auch, um zeitliche Fülle gegen den überbordenden Schauspielhaus-Pomp zu setzen.

Generationen von Intendanten haben sich abgearbeitet an diesem großen Saal, der nur zu Zeiten des Repräsentationstheaters funktionierte. Mit dem Einzug des Realismus war diese Ästhetik passé. „Da kam ein intimerer Ton. Um ihn zu treffen, braucht man hier mehr Fantasie und Aufwand als in kleineren Häusern“, sagt Schirmer.

Der Dimension des Saals ist wohl auch geschuldet, dass das Haus 1928 bankrott war, für vier Jahre mit dem Thalia Theater fusionierte und erst 1934 durch die Verstaatlichung unter den Nazis aus den roten Zahlen kam.

Erste echte Erfolge brachte dann Intendant Gustav Gründgens – jene Legende, die so ungebrochen gar nicht ist. „Er holte zwar exzellente Schauspieler und brachte 1960 den berühmten ,Faust‘,“ sagt Dramaturg Michael Propfe, der seit insgesamt 20 Jahren am Schauspielhaus arbeitet, „aber die Gründgens-Ära stand am Ende einer ästhetischen Periode. Es fehlte das Entwicklungspotenzial.“ Was dazu führte, dass die Hamburger 1963 seine Kündigung annahmen. Kurz darauf starb er. „Von da an“, sagt Schirmer, „hat man einen Altar errichtet. Und außer Frank Baumbauer sind alle, die es wagten, ihm zu folgen, darauf mehr oder weniger verbrannt worden“.

Das liegt vor allem an den nebulösen Erwartungen: Welches ist das Alleinstellungsmerkmal? Soll der Spielplan klassisch oder innovativ zu sein? Ivan Nagel etwa gewann in den 1970ern massig junge Leute – und warf hin, weil man ihm das Defizit anlastete, das die billigen Studentenkarten erzeugt hatten. Später warb Tom Stromberg durch Regisseure wie René Pollesch um die Yuppie-Szene. Aber sie zahlte nicht genug, und die Älteren hatte er durch kecke Reden vergrault. Das war der Politik nun auch wieder nicht recht. „Man will große Kunst, irgendwie“, sagt Propfe. „Aber sie muss sich rechnen.“

Ob das der einzige Grund dafür ist, dass das Thalia nach 1945 nur sieben Intendanten hatte und das Schauspielhaus 21? „Nicht nur“, sagt Propfe. „Das hatte gelegentlich auch mit Karriere-Spielchen von Intendanten zu tun.“ Andererseits war Hamburg selbst zu „glänzenden“ Theaterchefs nicht nett: Michael Bogdanov bot gute Aufführungen und Zuschauerzahlen, aber 1991 hatte man ihn satt. Warum? „Es ist mir ein Rätsel“, sagt Propfe. „Auch da spielte das Geld eine Rolle.“

So war es auch bei Tom Stromberg, mit dem Kultursenatorin Dana Horáková dauerstritt. „Er kam aus der freien Szene und hatte kaum Erfahrungen mit einem Repertoirebetrieb wie diesem“, sagt Propfe. „Das Missverständnis war, dass er mit dieser Haltung an das Schauspielhaus heranging.“ Als Stromberg nach zwei Jahren umsteuerte und Klassiker spielte, war es zu spät.

Dass Horáková danach Friedrich Schirmer holte, war folgerichtig und auch wieder nicht: Der kühle Rechner lebte das Ideal des „ehrbaren Kaufmanns“ und passte eigentlich gut zu den Hanseaten. Aber eben nicht zu deren fixer Idee, für kleines Geld Weltklasse zu wollen. „Nur die Erfindung des Jungen Schauspielhauses hat uns anfangs vor Kürzungen bewahrt“, sagt Propfe. Doch Schirmers Ruf nach mehr Subventionen verhallte.

Da überrascht es nicht, dass er ausgerechnet mit Volker Löschs „Marat“ einen Skandal auslöste. Hartz-IV-Empfänger verlasen darin die Namen der 28 reichsten Hamburger. Sicher, es war kein Skandal vom Format eines Zadek’schen „Othello“ oder „Andi“, bei dem die Einstürzenden Neubauten spielten. Dafür verleitete Schirmers „Marat“ die Kultursenatorin zu einem peinlichen öffentlichen Kotau vor Sponsoren. 2010 warf Schirmer trotzdem hin – wegen Unterfinanzierung.

Fehlt noch die Episode Stuth: Der Interims-Kultursenator kürzte dem Haus, kalt das Nach-Schirmer-Vakuum nutzend, den Etat, wollte es zur Abspielstätte degradieren. Doch Ensemble und Volk standen auf, und der Senat lenkte ein.

Karin Beier, die nun – nach sanierungsbedingten Verzögerungen – offiziell eröffnet, nutzte die Krise, um mehr Zuwendungen durchsetzen. Denn die wahlkämpfende SPD wollte nicht als Krämerseele dastehen, und sie wollte Glanz. Beier, die zuletzt das Schauspiel Köln in die erste Reihe spielte, steht dafür. Hamburg verharrt also im alten Muster: Fähige Leute werden mit Geld geködert, und wenn sie da sind, beginnt das Controlling.

Beier flüchtet erst mal nach vorn und erzählt in „Die Rasenden“ von Machtspielen. Mit dem Rückgriff auf antike Stoffe hat man ja schon immer die Zensur überlistet. Und wenn die Stücke im Chaos enden, kann keiner beweisen, dass das eine Parabel auf die Schauspielhaus-Historie ist.

Und der Ausgang ist ja auch ungewiss, dem Publikum sei Dank. Befragt man dessen betagtere Vertreter, zeigt sich – Ambivalenz: „Die Mitglieder des Schauspielhaus-Freundeskreises wollen Goethe am liebsten so sehen, wie sie ihn in der Schule gelesen haben“, sagt die Vorsitzende Sibylla Ribbentrop. „Andererseits gehen sie immer wieder hin, um zu sehen, was die Jungen daraus machen.“

In der Tat sind die Abonnements seit Herbst 2013 von 300 auf 1.000 gestiegen. „Theater“, sagt Dramaturg Propfe, „lebt vom Vertrauensvorschuss.“ Derzeit funktioniert’s.