So klappt’s auch mit …

...dem Coolsein

VON ESTHER GOEBEL
(TEXT) UND ELÉONORE ROEDEL (ILLUSTRATION)

Vergangene Woche war es der Drucker. Davor die Berliner S-Bahn. Und zuletzt eine Freundin, die mich an den Rand der Weißglut brachte. Warum? Weil der Drucker streikte, die S-Bahn nicht nach Plan fuhr und meine Freundin wieder viel zu spät zu einer Verabredung kam. Es gibt Menschen, die lächeln solche Ärgernisse des Alltags mit stoischer Ruhe einfach weg. Und dann gibt es Menschen wie mich. Ich verfüge über keine stoische Ruhe, dafür über viel Wut im Bauch, viel Temperament und eine mir wohl angeborene Unruhe. Die Folge: Schon kleine Ärgernisse lassen mich ausrasten. Ich rege mich furchtbar auf, fluche und schreie Gegenstände an, im schlimmsten Fall auch meine Mitmenschen. Ich bin cholerisch. Also das Gegenteil von cool.

Schön ist das nicht. Weder für den Drucker, der mittlerweile aus mehreren Einzelteilen besteht, weil ich ihn in Rage auf den Boden geworfen habe, noch für mich, die nun überhaupt keinen Drucker mehr besitzt. Daneben: Wer schreit schon gern wiederholt Dinge an. Und vor allem Menschen, die einem lieb und teuer sind? Nach der Wut kommt die Scham und danach die Traurigkeit über das eigene Verhalten. Wieso aber fällt es mir so schwer, cool zu bleiben?

„Choleriker verfügen über eine Impulskontrollstörung“, erklärt Jürgen Ortmann, leitender Psychologe an der Fliedner Klinik Berlin, „ihnen fehlen Regulationsmechanismen, um in emotional für sie anstrengenden Situation angemessen mit ihren Gefühlen umzugehen.“ Oft ist die Cholerik nur ein Tarnkleid für viel tiefer gehende Probleme. „Etwa für eine narzisstische oder eine Borderline-Störung“, sagt Ortmann, „erhöhte Gereiztheit und schwer kontrollierbare Emotionen können aber auch Symptome einer Depression sein.“ Eine weitere Rolle spiele die Genetik. „ Es kommt natürlich auch darauf an, ob Sie generell eher ein zurückhaltender, ruhiger Typ sind, oder eher sehr impulsiv handeln und reagieren“, erklärt Ortmann mir. All das sowie die Sozialisation als Kind und eigene Erfahrungen entscheide letztlich über unsere Kritiksensibilität.

Aha, das klingt alles nicht schön. Doch wenigstens scheine ich mit meinem Problem nicht allein: Der Schweizer Psychologe Theodor Itten hat für eine Studie 575 Männer und Frauen zu ihren Erfahrungen mit dem Thema Jähzorn befragt – jeder Vierte bezeichnete sich schließlich als Choleriker.

Wirklichen Trost spendet dieses Ergebnis auch nicht. Ich will nicht mehr schreiend und fluchend durch mein Leben laufen und Mitmenschen verschrecken. Wie also kann ich es schaffen, von nun an cool zu bleiben?

Ortmann empfiehlt zunächst eine genaue Analyse meines Verhaltens: In welchen Situationen raste ich bevorzugt aus? Haben diese Situationen eine bestimmte Gemeinsamkeit? Fühle ich mich angegriffen und wenn ja, warum? Wie hängt meine Historie mit meinen Wutausbrüchen zusammen und welches Muster kann ich daraus ableiten? Kann ich diese Fragen klar beantworten, habe ich eine Chance, mein eigenes Verhalten besser zu verstehen – und gegenzusteuern. Daneben sei auch eine „Konsequenzen-Analyse“ hilfreich, so der Experte. Ich soll mir also überlegen, welche Nachteile mein unangemessenes Verhalten mit sich bringt. Praktisch als eine Art Prophylaxe. Außerdem gelte es, das Stresslevel generell zu vermeiden. Denn wer entspannt und ausgeglichen ist, ist auch weniger schnell reizbar.

Ich überlege mir also, mich endlich für den Yoga-Kurs anzumelden, zu dem ich schon so lange gehen will. Und schreibe auf die imaginäre Pinnwand in meinem Kopf: mehr Zeit für mich selbst! Als Notfallkit in Momenten des größten Jähzorns empfiehlt Ortmann mir noch Übungen der Achtsamkeit: Statt mich immer tiefer in meine blanke Wut hineinzusteigern, soll ich mich in diesen Situationen auf andere Dinge fokussieren. Etwa auf meine Atmung, meinen Geruchssinn oder auf die räumliche Umgebung. „Manchmal kann es auch schon helfen, kurz den Raum zu verlassen, von zehn bis eins runterzuzählen oder bewusst eine Auszeit zu signalisieren, bis man sich wieder beruhigt hat“, sagt Jürgen Ortmann.

All das erfordert allerdings eine Menge Disziplin – und viel Übung. Zu große Hoffnungen macht Ortmann mir zudem nicht: „Ein Choleriker wird seine Art schwerlich für immer los. Was bleibt, ist seine Verletzlichkeit.“ Ich will es trotzdem versuchen. Also: zehn – neun – acht – sieben – sechs – fünf – vier – drei – zwei – eins – cool bleiben!