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Archiv-Artikel

Erhaben liegt die Birn im Sonnenschaum

DAS VERGESSENE REZEPT Hölderlin hat gern Wein getrunken, aber über die Desserts, die er am liebsten aß, ist nichts bekannt. Eine Anregung

Birne mit Weinschaum

Zutaten: vier Birnen (Abate oder Kaiser Alexander), eine Vanilleschote, 350 Gramm Zucker, eine halbe Flasche Weißwein, Saft einer halben Zitrone, sechs Eigelb

Zubereitung: Die Birnen schälen, halbieren, entkernen und zusammen mit einem halben Liter Wasser, der Vanilleschote, 200 Gramm Zucker, einem Achtelliter Weißwein und dem Zitronensaft kurz aufkochen. Die Birnen im Saft abkühlen lassen. Eigelb mit Zucker cremig rühren und im Wasserbad langsam erhitzen, dabei vorsichtig einen Viertelliter Wein unterrühren. Nicht zu heiß werden lassen, vom Herd nehmen, sobald die Masse stockt. Birnen fächerförmig aufschneiden und mit dem Weinschaum übergießen. Den restlichen Wein trinken.

VON PHILIPP MAUSSHARDT

Schwein reimt sich auf Wein und Durst auf Wurst. An meinem Wohnort Tübingen liefen sich die Dichterfürsten ständig über den Weg, an jedem zweiten Haus in der Altstadt hängt ein Messingschild: „Hier wohnte …“ Tübingen ist die Stadt mit der höchsten Dichterdichte. Uhland, Mörike, Hölderlin, Mayer (kennt keiner mehr) lebten hier, und Schiller nebst Goethe kamen wenigstens besuchsweise vorbei. Ein Spaßvogel hat an einem Fachwerkhaus in der Innenstadt vor Jahren schon ein Schild angebracht: „Hier kotzte Goethe.“

Was nicht verbürgt ist. Verbürgt ist, dass die deutschen Vordenker des 19. Jahrhunderts kübelweise den Wein in sich hineinschütteten – der damals noch etwas schwächer war als heute. Vom Großdichter Goethe ist bekannt, dass er zum zweiten Frühstück um zehn Uhr eine halbe Flasche Madeira schluckte, gefolgt von bis zu drei weiteren Flaschen Wein, die, über den Tag verteilt, den Staub der Schreibstube hinunterspülten. Schiller soll etwas weniger gebechert haben als Goethe, aber mindestens so viel wie Hölderlin.

Auf meinem täglichen kurzen Fußweg zu meiner Lieblingsweinstube komme ich an drei Dichterhäusern und einem Denkmal vorbei. Im ersten wohnte Karl Mayer, den keiner mehr kennt, im zweiten wohnte Uhland (beherbergt heute ein Kebab-Stand), und im dritten Haus, eher einem Turm ähnlich, lebte der arme „Hölderle“ mehr als dreißig Jahre in geistiger Umnachtung. Vor ein paar Jahren kamen die Tübinger auf die Idee, ihrem Hauptdichter Friedrich „Fritz“ Hölderlin ein Denkmal zu setzen. Da war er allerdings schon über 160 Jahre tot. Und weil sie so spät dran waren, schämten sie sich vielleicht ein wenig; darum beschlossen sie, politisch wahrscheinlich viel korrekter, nicht dem Dichter selbst, sondern seiner Pflegerin und Köchin das Denkmal zu setzen.

Leider bedichtete Hölderlin niemals seine Köchin, sondern immer nur die ganze Welt

Deshalb führt mein täglicher Weg also am einzigen Köchinnen-Denkmal der Welt vorbei. Die Frau hieß Lotte Zimmer. Von Weitem ähnelt die Stahlkonstruktion ein wenig der in Schwaben sehr berühmten Kehrschaufel. Lotte Zimmer fegte die Stube, schnitt dem Dichter die Fingernägel und kochte für ihn. Was genau? Wir wissen es nicht. Nur so viel ist bekannt: Hölderlin hasste herumstehendes, dreckiges Geschirr und stellte seinen Teller sofort nach dem Essen vor die Zimmertür.

Leider bedichtete der Großmeister niemals seine Köchin, sondern immer nur die ganze Welt. Schon reichlich umnachtet schrieb er Verse wie diesen: „So wie der Wechsel ist, ist übrig vieles Wahre; / Daß Dauer kommt in die verschied’nen Jahre.“ Ein Vers, an dem sich vielleicht noch in tausend Jahren die Literaturforscher die Zähne ausbeißen werden. Ach, Hölderle, warum hast du gar nichts über den leckeren Nachtisch von Lotte Zimmer geschrieben? Warum dichtestest du nicht: „Erhaben liegt die weiße Birn’ in ihrem Sonnenschaum / gleich wie des Menschen ewig Streben nach Zeit und Raum.“ Oder so ähnlich. Die Tübingen hätten dann vielleicht auch dir ein Denkmal gesetzt.

Philipp Maußhardt schreibt über vergessene Rezepte

Die anderen Autoren: Undine Zimmer kocht mit Resten; die Köchin Sarah Wiener komponiert aus einer Zutat drei Gerichte, und Jörn Kabisch befragt Praktiker des Kochens