: Nach jahrlanger Arbeit offenbar nerdiger Setzer
GEBURTSTAG 2 Arno Schmidt lesen: Zum 100. Wiegenfest des großen Außenseiters sind seine Schriften in verschiedenen Einzelausgaben und als vollständige Werkedition greifbar
Zu Lebzeiten befürchtete Arno Schmidt, dass sich sein wichtigstes Werk niemals in ein normales Buch verwandeln lassen würde. Das 1970 als Faksimile-Ausgabe im DIN-A3-Format publizierte Typoskript von „Zettel’s Traum“ umfasst über 1.300 Seiten – dreispaltige Schreibmaschinenseiten mit Randnotizen und Strich-Balken wohlgemerkt. Kurz nach Erscheinen, die limitierten 2.000 Exemplare gingen weg wie warme Semmeln, druckten Studenten ebenso schnell vergriffene Raubkopien.
Nach jahrzehntelanger Arbeit offenbar reichlich nerdiger, jedenfalls unvorstellbar geduldiger Setzer und Editoren aber war 2010 das Wunder vollbracht: Das Großromanprojekt erschien erstmals in einer ordentlich gesetzten Edition. Das 1.530 Seiten und 7 Kilo schwere Buch, das von 24 Stunden aus dem Leben Daniel Pagenstechers erzählt, eines Privatgelehrten, Schriftstellers und Übersetzers in einem abgeschiedenen Dörfchen der Lüneburger Heide [sic!], beschließt die vierte Werkgruppe der Bargfelder Gesamtausgabe (bei Suhrkamp) der Schriften des großen Außenseiters der deutschen Nachkriegsliteratur – die „Werkgruppe III“ versammelt Essays und Biografisches, während die „Werkgruppe II“ die Funkdialoge etwa über Cooper, Klopstock oder Wieland umfasst.
Die im vergangenen Jahr erschienene „Werkgruppe I“ (Studienausgabe) mit den zum Teil bislang vergriffenen Romanen und Erzählungen ist zum Einstieg ins Schmidt-Universum und als Vertiefung gleichermaßen geeignet. Vielleicht nimmt man auch „Das große Lesebuch“ zur Hand, das wie diverse Einzeltaschenbuchausgaben bei Fischer erscheint, oder die hübsche „Tina oder über die Unsterblichkeit“-Ausgabe der Insel-Bücherei.
Zum Geburtstag gibt der Germanist Axel Dunker den Bargfelder-Boten-Sonderband „Im Meer der Entscheidungen“ mit ausgewählten Aufsätzen von Jörg Drews heraus, der einer der intimsten Kenner der Werke Arno Schmidts und Gründer des Bargfelder Boten, des Zentralorgans der Schmidt-Forschung, war. Darin geht es dezidiert um die Frage, wie man Schmidt liest. Friedhelm Rathjen, Herausgeber des Bargfelder Boten, präsentiert in einer Dreifachnummer eine Chronik von Leben und Werk.
Das dumme Vorurteil, Schmidt sei unlesbar, hat sich viel zu lange gehalten. Die Lektüre von Erzählungen wie „Leviathan“, „Aus dem Leben eines Fauns“, „Brand’s Haide“ oder des Romans „Kaff“ beweisen Gegenteiliges. TOBIAS SCHWARTZ
■ Arno Schmidt: Bargfelder Ausgabe. Studienausgabe der Werkgruppe IV: Zettel’s Traum, Suhrkamp, Berlin 2010, 248 Euro ■ Arno Schmidt: Das große Lesebuch. Hg. von Bernd Rauschenbach. Fischer Klassik, Frankfurt a. M., 2013, 445 S., 9,99 Euro ■ Arno Schmidt: Tina oder über die Unsterblichkeit. Insel-Bücherei, Berlin 2013, 87 S., 13,95 Euro ■ Jörg Drews: Im Meer der Entscheidungen. Aufsätze zum Werk. Hg. von Axel Dunker, „Bargfelder Bote“, 2014, 281 S., 36 Euro ■ „Na, Sie hätten mal in Weimar leben sollen!“ Über Wieland – Goethe – Herder. Mit einem Essay von Jan Philipp Reemtsma. Reclam, Stuttgart 2013, 234 S., 6,40 Euro