: „Fußball war für mich nie alles“
Anfang Juli hat Ex-St. Pauli-Spieler Benjamin Adrion gerade mal 25-jährig seine Karriere als Fußballprofi beendet. Ein Gespräch über den Abschied vom Profisport, Mythen und Politik
Interview: MARCO CARINI
taz: Herr Adrion, Sie sind seit Anfang des Monats arbeitslos. Warum ging es beim FC St. Pauli nicht mehr weiter?
Benjamin Adrion: Der Verein hat die Trennung damit begründet, dass durch den Verbleib von Felix Lux der Etat ausgereizt war. Zudem war ich lange verletzt und hatte keine Möglichkeit, mit Leistung auf mich aufmerksam zu machen. Ich hätte kommende Saison gerne noch einmal angegriffen. Aus meiner Sicht hätte es zu einer Einigung kommen können, da ich ohnehin zu den Kleinverdienern im Team gehöre und immer bereit war, finanzielle Abstriche zu machen. Aber ich muss akzeptieren, dass es keine Lösung gegeben hat.
Sie haben kritisiert, dass die sportliche Leitung des Vereins Sie wochenlang im Unklaren über Ihre Zukunft gelassen hat. Scheiden Sie im Zorn?
Ich scheide nicht im Zorn, aber ich bin enttäuscht. Die Zeit der Ungewissheit war schwierig. Es war unglücklich, dass ich erst sehr spät im Juni erfahren habe, dass mein Vertrag nicht verlängert wird. So musste ich mich arbeitslos melden, da ich innerhalb von drei Tagen kaum einen neuen Job finden konnte.
Sie haben mit Auslaufen des Vertrages auch Ihre Karriere als Fußballprofi beendet – ein ungewöhnlicher Schritt.
Ich habe schon vorher gesagt, ich will nirgendwo anders als bei St. Pauli spielen. Mich hätte es nach der Zeit am Millerntor nicht mehr gereizt, für einen anderen Regionalligisten zu kicken, auch deshalb, weil ich in Hamburg bleiben will und mich mit dem Umfeld des Vereins und dem Stadtteil St. Pauli sehr verbunden fühle. Und zu einem Hamburger Oberligisten zu wechseln, da würde mir die sportliche Herausforderung fehlen. Vielleicht kommt irgendwann die Oberliga bei St. Pauli, aber da will ich den Dingen nicht vorgreifen.
Man hört im Verein die Kritik durch, Sie hätten zu wenig in die Profikarriere und eine optimale Reha nach Ihrer Verletzung investiert und sich zu viel um das von Ihnen initiierte Projekt „Viva con Agua de St. Pauli“ gekümmert.
Es war bei mir schon immer so, dass für mich Fußball nicht alles war und ich mich nicht nur darauf konzentrieren wollte. Mit siebzehn habe ich deshalb sogar einmal ein ganzes Jahr mit Fußball ausgesetzt. Es stimmt vielleicht, dass ich die Reha etwas habe schleifen lassen, weil ich sehr stark in das Viva con Aqua-Projekt involviert war. Aber ich war bereit, in der kommenden Saison noch mal 100 Prozent zu geben, um mich wieder ins Team zu spielen. Diese Chance hätte ich gerne bekommen. Ich habe aber Verständnis für die sportliche Entscheidung der Leitung zu diesem Zeitpunkt.
Sie gelten vielen Fans als Prototyp des mündigen und engagierten Profis. Wo liegt die Verbindung von Sport und Politik?
Fußball kann etwas Verbindendes sein. Über Grenzen und Hautfarben hinweg kann Fußball helfen, zwischenmenschlich das Eis zu brechen und Türen zu öffnen. Dieser Sport kann als ein Medium genutzt werden, etwa um humanitäre Hilfe zu initiieren. Genau das ist mein Ansatz mit Viva con Agua.
Was hat da Projekt bislang erreicht und wie soll es sich weiter entwickeln?
Wir haben unser Ziel erreicht, 50.000 Euro für die Aufstellung von Trinkwasserspendern in kubanischen Kindergärten zu sammeln. Inzwischen konnten 153 Kindergärten und fünf Sporteinrichtungen mit Wasserspendern ausgerüstet werden. Ich denke jetzt über ein eher fußballpezifisches Projekt für den Breiten- und Spitzensport Kubas nach, mit Trainerschulungen und vielem mehr. Zudem ist eine Ausweitung von Viva con Agua nach Afrika im Gespräch.
Sie haben immer betont, nur mit dem Verein im Rücken könne sich ein solches Projekt positiv entwickeln. Wird es diesen Rückhalt weiter geben?
Ich hoffe, dass der Rückhalt des Vereins für dieses Projekt und seine Ziele erhalten bleibt, auch wenn ich dort nicht mehr Fußball spiele. Dass im Stadion auf Viva con Aqua hingewiesen werden kann, dass Spieler mal auf eine Schulveranstaltung des Projekts kommen, dazu gehören viele Dinge. Viva con Agua ist auf Kuba auf einer hohen politischen Ebene angesiedelt und die Solidarität des FC St. Pauli und der Menschen im Umfeld imponiert vielen Kubanern.
Sie wollten nach eigenem Bekunden dem Mythos St. Pauli einen konkreten Inhalt geben – inwieweit ist der Club noch ein lebendiger Mythos, wo nur ein stinknormaler Fußballverein?
Der Mythos ist vor allem in der Fankultur und in der Einbindung des Vereins in den Stadtteil noch lebendig und existiert nicht nur als Produkt geschickter Werbekampagnen. Der Großteil der Menschen, die zum Millerntor kommen, haben eine Ebene, die sie verbindet und die bei anderen Vereinen so nicht existiert.
Der Mythos endet aber da, wo die geschäftliche Abwicklung des Regionalligaalltags in den Vordergrund tritt. Da geht es wie bei jedem anderen Verein knallhart und ganz unsentimental ums Geschäft, und eine transparente Kommunikation oder soziale Verantwortung treten in den Hintergrund. Wobei man ganz klar sagen muss, dass ein wesentlicher Kapitalbestandteil im Bereich dieser tollen Fans liegt, die ihren ureigenen Anteil an dem enormen Kultpotenzial besitzen.
Ehrenamtliches Engagement macht glücklich, aber wie wollen Sie in Zukunft Ihre Brötchen verdienen? Ist etwa der Erfolg des mit Ihrem Ex-Mitspieler Marcel Egner aufgenommenen Hits „Pokalfinale“ der Einstieg in eine hoffnungsvolle Musikerkarriere?
Ich glaube nicht, das man mich noch mal mit einem Mikrophon auf der Bühne sehen wird, auch wenn der Song mit Platz 101 denkbar knapp an dem Eintritt in die Charts gescheitert ist. Es gibt viele Ansätze für meine berufliche Zukunft, die vom Einstieg ins Sportmarketing bis hin zur Mitwirkung in einem Fernsehformat über Fußball und seine sozialen Hintergründe gehen. Ich könnte mir auch vorstellen, mich stärker – nicht unbedingt nur ehrenamtlich – für Viva con Agua und die Deutsche Welthungerhilfe zu engagieren. Aber da ich erst seit gut zehn Tagen weiß, das meine berufliche Zukunft nicht im Profifußball liegt, beginne ich gerade erst, mich mit meinen Perspektiven auseinander zu setzen. Ich bin selbst sehr gespannt, wie es weitergeht.