„Ein Amoklauf der Verzweiflung“

HÜGEL Am 25. Juli werden die diesjährigen Bayreuther Festspiele mit dem „Lohengrin“ eröffnet. Ein Gespräch mit dem Regisseur Hans Neuenfels über seine Neu-inszenierung, Wagners distanziertes Deutschlandbild und die Notwendigkeit des Regietheaters

Hans Neuenfels, geb. 1941, ist einer der wichtigsten Vertreter des deutschsprachigen Regietheaters. 1980 zeigte er in Frankfurt die Titelheldin aus Verdis „Aida“ als Putzfrau – was viel Aufsehen erregte. 2005 und 2008 wurde er zum Opernregisseur des Jahres gewählt. Neuenfels war auch der Regisseurs der „Idomeneo“-Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin, die 2006 eine Zeit lang aus Angst vor islamistisch motivierten Anfeindungen vom Spielplan genommen worden war; der abgeschlagene Kopf Mohammeds war auf der Bühne gezeigt worden.

Die Inszenierung: Nachdem es 2009 keine Neuinszenierung auf dem Hügel gegeben hatte, ist der „Lohengrin“ von Hans Neuenfels die erste Wagner-Neuinterpretation bei den Bayreuther Festspielen unter der Ägide von Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier. Die beiden Halbschwestern hatten die Leitung 2008 von ihrem Vater Wolfgang Wagner übernommen. Wolfgang Wagner ist im März 2010 gestorben.

Die Festspiele beginnen am 25. Juli und enden am 28. August. Das volle Programm und alles Weitere sind zu finden unter www.bayreuther-festspiele.de

INTERVIEW JOACHIM LANGE

taz: Herr Neuenfels, ist die Arbeit hier in Bayreuth anders als anderswo?

Hans Neuenfels: Es ist ein Problem der Zeit. Das ist das Einzige, wo ich sagen würde, man müsste neu überlegen, wie man das organisiert. Man hat hier eben als Regisseur nur wenig Zeit und kann sich keine Irrtümer leisten.

Bedauern Sie eigentlich, dass Sie erst jetzt in Bayreuth sind?

Nein. Zu einem viel früheren Zeitpunkt wäre es sicher ein Traum gewesen, hier den „Ring“ zu machen. Das ist jetzt von meiner Seite gar nicht mehr denkbar, weil das viel zu viel Aufwand wäre. Der „Lohengrin“ jetzt – das ist für mich genau der richtige Zeitpunkt.

Überhaupt sind Sie ja zu Wagner eher spät gekommen.

Ja. Erst die „Meistersinger“ in Stuttgart und dann in Essen 2008 den „Tannhäuser“. Aber auch Mozart hab ich ja erst sehr spät gemacht.

Sie haben in Ihrem autobiografischen Roman „Isaakaros“ erzählt, dass Ihnen Verdi im Traum begegnet ist. Und Wagner? In einem Albtraum?

Nein, überhaupt nicht. Es ist eher eine romantische, aber auch eine Abenteuerbegegnung. Ich bin erst spät dahintergekommen, dass Wagner nur scheinbar besonders deutsch ist. Er hat zwar das Deutsche immer ausführlich und genau musikalisch beobachtet, hatte aber doch eher ein kritisches, ein distanziertes Verhältnis dazu. Einen großen Teil seines Lebens verbrachte er ja auch außerhalb Deutschlands.

Ist Wagners „Lohengrin“ nicht besonders problematisch?

Das Besondere an „Lohengrin“ ist wahrscheinlich die Radikalität, diese Unmöglichkeit, die scheinbare Naivität. Das radikale Moment des „Nie sollst du mich befragen“. Wenn man das nicht wirklich brutal umsetzt in die Personen und in eine existenzielle Beschäftigung auch der Umgebung mit dieser Frage, auch im Sinne einer Suche nach der Identität und der Auswechslung des eigenen Ichs, dann verliert man das Stück an eine reine Märchenwelt oder an eine Reportage. Man muss es aber in der Entwurfartigkeit und in seiner Wucht erfassen.

Hat diese Wucht dann nicht etwas Totalitäres?

Sie könnte totalitär erscheinen. Es ist aber, so glaube ich, in Wirklichkeit ein Amoklauf der Verzweiflung. Es hat etwas von einer Endfrage, von einer Letztfrage. Und wenn man es nicht schafft, Elsa in eine Situation zu bringen, in der sie sozusagen ein Gefäß für diese Frage ist, wenn sie nur so ein abendländisches, alpenhaftes Mädelchen ist, dann geht das gar nicht. Sie muss schon eine Gegenkraft zu Lohengrin sein. Da stellt sich schon auch die Geschlechterfrage, nach dem Verhältnis von Mann und Frau.

Der Tenor Jonas Kaufmanns, in München ein neuer Star, gibt mit dem Lohengrin sein Debüt in Bayreuth. Bei seiner Gralserzählung in München erschauderte man ja geradezu über die Verzweiflung Lohengrins – so hatte man das noch nie gehört.

Ich empfand diese Art zu interpretieren und zu singen, genau als den Schlüssel! Das hat uns auch jetzt sehr weit gebracht, weil er genau die Bemühungen und die Mühe eines Mannes singt und spielt, der einen Auftrag erledigen will, der überfordert ist und dem dann auch noch die Liebe dazwischenkommt. Am Ende scheitern der Auftrag und die Liebe, und eine ganze Welt geht unter.

Jonas Kaufmann ist eben ein intelligenter Tenor.

Ja! Es ist hier übrigens insgesamt ein sehr intelligentes Ensemble beisammen. Es gibt ein-, zweimal die Woche ein Treffen mit den Solisten, bei dem wir am Tisch alles noch einmal interpretieren. Und da merkt man, dass es diese neuen Sänger wirklich gibt! Sie sind interessiert, beziehen Stärke daraus, und empfinden das nicht als Belästigung, als unnützes Geschwätz oder als Dekor.

An der Wiener Staatsoper hat es ja gerade einen Stabwechsel gegeben. Wie waren Ihre Erfahrungen dort?

Die Erfahrung war so, dass ich eine solche Art von Arbeit nicht mehr wiederholen möchte.

So schlimm?

Es lag an der ganzen Aura des Hauses. In der Art, alles in ein Geschäft mit Stimmen zu verwandeln. Oper hat aber doch auch immer noch etwas mit abenteuerlichem Verhalten, mit Suchen, mit einem Aufspüren zur Musik zu tun.

Gibt es denn diese berühmte Aura des Festspielhauses in Bayreuth?

Die gibt es, ja. Die habe ich schon vor ein paar Jahren bemerkt, als ich hier mal so reinguckte. Und die zwei Schwestern versuchen das ja jetzt nicht nur fortzusetzen, sondern auch zu erweitern.

Als die „FAZ“ bei ihrer Kampagne im Kampf um die Nachfolge Wolfgang Wagners viele Insider zu ihrer Vision für Bayreuth fragte, fehlten Sie. Jetzt, da die Messen gesungen sind, kann man ja noch mal fragen: Wie ist Ihre Vision für die Zukunft Bayreuths?

Ich finde die Form, wie sie ist, grundsätzlich gut. Ich würde nur das Prinzip Werkstatt im Sinne von Dauer mehr betonen. Man muss aber überlegen, ob das auch attraktiv genug für die Sänger ist. Es kostet eben viel mehr Geld, wenn sie für eine intensivere Rollenbeschäftigung mehr Zeit bekommen. Aber eine Erweiterung des Kanons: nein. Das war auch der Grund, warum ich diese Kampagne, wie Sie sagen, so lächerlich fand. Es hatte niemand wirklich etwas anderes dagegenzusetzen. Und gerade heute, wo man sich mit allem und jedem beschäftigt, ist es eine unglaubliche Sache, sich mit einem Künstler in einer Weise auseinanderzusetzen, wo variiert und intensiviert wird. Das ist ja gerade das Tolle! Mozart kann man überall machen.

Haben die Besonderheiten des Orchestergrabens auch für Sie Konsequenzen?

Man muss sich hier entscheiden, entweder das Bild nahe zu rücken oder es fern zu lassen. Für uns ist es so, dass wir alles daran gesetzt haben, das Bild nahe zu rücken. Das hat Konsequenzen für das Licht. Diese Verfolger-Scheinwerfer hier, die haben das ja gar nicht geschafft. So hell wie bei uns war es hier wohl noch nie. Da kann man auf der riesigen Fläche das Erglühen bei Jonas Kaufmann und Anette Dasch genau mit verfolgen.

Sie haben mal gesagt, dass Sie die Stücke ausspionieren. Oft gibt es ja deshalb hinzuerfundene Spione bei Ihnen. Diesmal auch?

Nein, nicht wirklich. Hier geht es ja um eine Laborsituation. Und dann ist „Lohengrin“ ja auch eine Choroper. Bei 130 Menschen im Chor ist schon genug Vervielfältigung und Spiegelung da. Da braucht man diese Spione oder diese Aufwerfungen der Fragen nicht. Das würde plötzlich nur noch dekorativ wirken. Ganz am Anfang hatten wir ein paar solche Sachen überlegt und das auch mal kurz probiert.

„Im Lohengrin geht es um die Mühen eines Mannes, der mit seinem Auftrag überfordert ist und dem dann auch noch die Liebe dazwischenkommt“

HANS NEUENFELS

Und wie kommen Sie im Graben mit Ihrem Dirigenten Andris Nelsons klar?

Er ist einfach toll. Ich bin regelrecht verliebt in den Nelsons. Er schätzt natürlich auch, wenn man seine Einwände ernst nimmt und ihm dann auch recht gibt.

Mit welcher Publikumsreaktion rechnen Sie am 25. Juli?

Das kann man gar nicht sagen, das ist hier schwer vorhersehbar. Aber toll ist ein Publikum, das sehr wagnerinformiert und wagnerempfindlich ist. Man kann einfach voraussetzen, dass die Leute das Stück schon mehrmals gesehen haben und kennen, dass sie sich ein Bild gemacht haben. Das empfinde ich als positiv. Wie weit sie sich auf Variationen oder Abweichungen einlassen und darauf reagieren, das wird man sehen. Wenn man beim Publikum merkt, dass es emotional bewegt ist und sich auseinandersetzt, dann goutiert man das eher, als wenn man von vornherein eine gesellschaftliche Ablehnung merkt.

Wie Sie sie bei Ihrer Inszenierung von Verdis „Nabucco“ an der Deutschen Oper in Berlin erfahren haben.

Ja, das war unangenehm. Das war etwas anderes als Diskurs.

In der letzten Zeit wird viel vom Ende des Regietheaters gesprochen. Kann man das, was ja auch durch Sie auf die Bühne gekommen ist, wirklich zurückdrehen?

Das lässt sich nicht zurückdrehen, weil es als Energiespeicher da ist. Mit seinen Bildern. Wenn man die Musik gemeinsam in einem Raum hört, dann möchte man eine Deutung. Weil sich auch die Komponisten etwas Konkretes dabei gedacht haben. Das hat aber nichts damit zu tun, dass man sorgfältig mit seinen Interpretationen umgehen muss. In den letzten Jahren ist in der Oper sehr viel im Sinne von Entwertung passiert. Es gibt Imitationen von Sachen, die schon da waren und nur patchworkartig zusammengesetzt werden. Die das tun, haben sich da nur bedient und das nicht selbst erlebt und erfunden. Vielleicht ist deshalb ein Teil des Publikums irritiert. Es ist nicht einfach, zwischen Leichtsinn und Ernst oder zwischen Betrug und Aufrichtigkeit zu unterscheiden. Aber ein Zurück zur „Rampe“ geht nicht. Das wäre ja die Vorspiegelung einer falschen heilen Welt. Das hat mit dem Ursprung dieses anarchistischen Bewegungsmoments, was Musik auslöst und bewirkt, nichts zu tun. Das würde gegen die Materie sprechen und sich dagegen wenden.

Macht es Spaß hier in Bayreuth?

Es ist anstrengend, es ist sehr gedrängt. Aber es macht Freude!