: Es bleibt ein Gang zum Friseur
betr.: „Mythen für die Oberstufe. Was haben die 68er eigentlich hervorgebracht?“ von Franz Walter, taz-Magazin vom 1. 7. 06
Franz Walter kann einem leid tun, wird er doch wegen seiner „Frisur“ und den T-Shirts oft mit einem 68er verwechselt. Das ist hart, wo die doch seiner Meinung nach an Filbinger, Dregger, Strauß, Kohl, Westerwelle (beliebig erweiterbar), aber natürlich auch an erodierenden Werten und Neoliberalismus Schuld tragen (irgendwie sicher auch an dem verpassten WM-Endspiel). Also verdient er sich ein wenig Zeilengeld mit wohlfeilem 68er-Bashing und reiht sich so in die lange Reihe derer ein, denen aus Besserwisserei oder Frust des Nicht-dabei-Gewesenseins keine Behauptung zu dumm ist, diese „Generation“ endlich zu entzaubern. Sein Argument: Die deutsche Gesellschaft befand sich damals längst in einem Modernisierungsprozess, der durch das Auftauchen der 68er unnötig unterbrochen wurde.
Zur Erinnerung, Herr Walter: 1968 waren die Beatles der deutschen Jugend schon bekannt, so weit richtig; die „Leitkultur“ betitelte das allerdings als „Negermusik“ von „langhaarigen Affen“. Der Tophit des Jahres war das erzreaktionäre „Mama“ von Heintje! Homosexuelle wurden vom § 175 bedroht, Männer durften ungestraft ihre Frauen verprügeln oder ihnen Arbeit und eigenes Konto untersagen, aufmüpfige Kinder wurden in Heime gesteckt, deren „Erziehungsmethoden“ heute kaum mehr vorstellbar sind, etc. Das gesellschaftliche Klima war zu weiten Teilen noch vom Gedankengut des „Dritten Reichs“ geprägt, dessen Vertreter in den politischen Parteien munter wieder mitmischten.
Wenn Sie ernsthaft nach Verdiensten der 68er suchten (was ich bezweifele), könnten Sie an diesen Stellen fündig werden. Wenn Ihnen die Verwechslung dann immer noch peinlich ist, bleibt immer noch ein Gang zum Friseur und ein ordentliches Hemd.
KLAUS JOHN, Braunschweig