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Archiv-Artikel

Keine Werbung für Kondome

ZENTRALASIEN Die Zahlen zu HIV/Aids sind alarmierend. Drogen, mangelnde Aufklärung und schlechte medizinische Versorgung lassen die HIV-Infektionsraten dramatisch ansteigen

Aids-Konferenz in Wien

■ „Die Kriminalisierung von Konsumenten illegaler Drogen trägt zur Ausbreitung der HIV-Epidemie bei und hat äußerst negative gesundheitliche und soziale Folgen nach sich gezogen.“ Das ist die Kernaussage der Wiener Erklärung, die auf der am Sonntag in Wien beginnenden 18. Aids-Konferenz diskutiert und verabschiedet werden wird. Die Verbreitung der Immunschwächekrankheit durch verunreinigte Spritzen ist in den letzten Jahren vor allem in Ländern Zentralasiens und Osteuropas zu einem schwerwiegenden sozialen Problem geworden. Deshalb widmet die Konferenz ihren regionalen Schwerpunkt diesmal diesen Ländern. Im Vorfeld der Konferenz wurde das Veranstalterland kritisiert, da Österreich sich finanziell kaum an der weltweiten Bekämpfung der Krankheit beteilige. In den Global Fund zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria hat Österreich nur 2001 einmalig eine Million Dollar eingezahlt. (RLD)

VON MARCUS BENSMANN

Die HIV-Infektion ist in Zentralasien auf dem Vormarsch. Vor allem seit 2002 ist der rasante Anstieg der Infektionen und der Aids-Toten in der Region zwischen Kaspischen Meer und chinesischer Grenze alarmierend. Doch die Datenlage für eine genaue Problemeinschätzung bleibt unsicher, denn in keinem der fünf Staaten gibt es ein tragfähiges Meldesystem. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) führt für die Länder in der Region weit auseinanderliegende Schätzungen auf.

In Usbekistan, mit knapp 27 Millionen der bevölkerungsreichste Staat der Region, schätzt die WHO für 2007 zwischen 9.000 und 43.000 HIV-Infizierte und zwischen 80 und 700 an Aids verstorbene. In Kasachstan mit einer Bevölkerung von über 15 Millionen liegen die Schätzungen bei den Infizierten zwischen 7.000 und 27.000 und der Verstorbenen zwischen 90 und 180. In Tadschikistan gibt es laut WHO bei einer Einwohnerzahl von über 6 Millionen zwischen 5.000 und 25.000 Infizierte und zwischen 180 und 580 Verstorbene. In Kirgisien mit einer Bevölkerung über 5 Millionen liegen die Angaben der WHO zwischen 2.000 und 8.000 Infizierten und bei 60 bis 270 Aids-Toten. Für Turkmenistan liegen keine Daten vor.

In Usbekistan und Kasachstan werden nach WHO-Schätzungen um die 20 Prozent der Infizierten und Erkrankten therapiert, in Kirgisien und Tadschikistan ist es kaum jeder Zehnte.

Zentralasien wird vor allem von autoritären Herrschern regiert, die das Aidsproblem verdrängen. Nur in Kasachstan und Kirgisien gibt es ansatzweise eine Zivilgesellschaft, die sich dem Problem annimmt. Kirgisien droht nach den ethnischen Unruhen im Juni aber auch der Zerfall dieser Bürgergesellschaft.

Als Hauptursache für den Anstieg der HIV-Infektionen gilt der Drogenkonsum. Durch Zentralasien verläuft einer der wichtigsten Transitrouten für das afghanische Opium und Heroin nach Russland und Europa. Korruption und wachsende Anarchie in Kirgisien begünstigen den ungehinderten Drogentransfer – und ein Teil der Rauschmittel findet die Abnehmer in der Region.

Eine weitere Ursache für die Infektionszahlen ist die hohe Arbeitsemigration aus Usbekistan, Kirgisien und Tadschikistan. Millionen von Männern reisen jährlich als Saisonarbeiter auf die Baustellen von Russland und Kasachstan und kehren im Winter zu ihren Familien zurück.

In Usbekistan steht das Verteilen gängiger Aids-Aufklärungsbroschüren unter Strafe

Die wirtschaftlich angeschlagenen Staaten Kirgisien und Tadschikistan sind kaum in der Lage, für die rasant ansteigenden HIV-Infizierungen ein angemessenes Gesundheitssystem zu unterhalten. In Usbekistan wurde zwischen 2007 und 2008 in einer Provinz über 150 Kinder mit dem Virus angesteckt, da in den Krankenhäusern Spritzen und Katheder nachlässig sterilisiert wurden. 21 Mitarbeiter des Gesundheitssystems wurden 2009 in Usbekistan verurteilt, da waren schon 14 Kinder gestorben.

Aber nicht nur die medizinische Versorgung ist unzureichend. Es gibt auch keine überzeugende Aufklärungskampagne. Homosexuelle Beziehungen zwischen Männern stehen weiterhin unter Strafe – mit Ausnahme von Kirgisien und Kasachstan. Nur dort können Nichtregierungsorganisationen tätig sein, die sich der Aidsaufklärung verschrieben haben.

In Usbekistan wurde 2008 der Antiaidsaktivist Maxim Popow verhaftet und dann zu sieben Jahren Haft verurteilt. Der usbekische Richter argumentierte, der 27-Jährige verderbe die Jugend, rufe zur Homosexualität auf und propagiere den Drogenkonsum. Popow hatte in Usbekistan Präventionsmaterial an Risikogruppen verteilt, in denen die Benutzung von Einwegspritzen und Kondomen angemahnt wurde. Ein Unicef-Mitarbeiter bestätigte, dass es in Usbekistan nicht gestattet sei, gängige Aufklärungsbroschüren zur HIV-Thematik zu verteilen. Dieses Verbot hindert die Töchter des usbekischen Präsidenten Islam Karimow, der das Land seit 1989 autoritär regiert, allerdings nicht daran, in Europa und den USA auf Antiaidsgalen als spendenfreudige Gäste aufzutreten.