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Archiv-Artikel

wm gucken mit ... Franzosen in Hamburg

Vor Anpfiff des WM-Finales ist das „Café Paris“ in der Rathausstraße rappelvoll. Nur noch Stehplätze am Bistrotisch auf der Straße sind frei. Hier muss man den Spielzügen zwar auf einem winzigen grünen Quadrat folgen, schlechter dran aber ist man nicht – drinnen ist die Luft zum Schneiden.

Offenbar vertilgen Franzosen auch während Endspielen der eigenen Mannschaft aufwändige Salatburgen oder „Steak Tartare“. Und selbst bei Hitze und Fußball zieht man hier wohltemperierten Rotwein kühlem Pils augenscheinlich vor. Also jonglieren schwitzende Kellner stattliche Teller und Karaffen unter mittlerem Körpereinsatz durch den mintgrün gekachelten Saal.

Moment mal! Echte Franzosen? Die „Marseillaise“ wird zum Prüfstein. Gerade mal sieben von rund 200 Gästen grölen mit als die Hymne ertönt: zwei Togolesen in Blau-Weiß-Rot, einige Stammgäste und der Wirt persönlich. Thomas Pinçon hat für diesen Tag Schürze gegen Tricolore getauscht und zeigt bemerkenswerte Fitness am Weinglas. Doch die meisten seiner Gäste sind Deutsche. Das erklärt das geteilte Interesse: halb Bildschirm, halb „Plat du Jour“.

Bei 1:0 für Frankreich dreht Pinçons Meute auf. Zwar passt Zidanes Elfer gerade so unter die Latte, aber das ist egal. Zu Tröten und Fahnen heißt es jetzt: „Allez les bleus! Allez les bleus!“ Mitmachen erwünscht. Auch Materazzis Kopfball zum Ausgleich kann die Stimmung nicht kippen.

Dann suchen 20 Feldspieler 100 weitere Minuten lang die Lücke in der Abwehr des Gegners. Und die Kellner im „Café Paris“ suchen die Lücken zwischen den Gästen, um Desserts, Digestifs, Kaffee und Kaltgetränke zu verteilen.

Stille ist erst, als sich einer der ganz Großen ganz klein verabschiedet: Kurz vor Schluss rammt Zinedine „Zizou“ Zidane seinen Hitzkopf gegen Materazzis Brustkorb. Und beendet seine Laufbahn mit einem „Carton rouge“. Das sitzt tief. Das ist schlimmer als das verlorene Finale, sind sich die Franzosen nach dem Abpfiff einig. „Der muss irgendwas über Algerier gesagt haben“, vermutet ein Gast. „Das darf trotzdem nicht passieren, der ist Profi“, hält ein anderer dagegen.

Nach der Siegesfeier trägt der Franzose Pinçon eine Flasche Champagner rüber zu Salvatore Murabito ins italienische Restaurant „La Forchetta“. „Salute!“, heißt es bei den Landsleuten der frischgebackenen Weltmeister für den Rest des Abends. Den Gästen im „Café Paris“ fehlen die Worte. Außer dreien: „C‘est la vie.“ Mathias Becker