: „Zidane ist doch nicht Christus“
taz: Herr Cohn-Bendit, was ist passiert mit Zinedine Zidane?
Daniel Cohn-Bendit: Zidane ist nun mal ein Held, aber eben kein Christus. So ein Spiel geht an die physischen Grenzen. Und Zidane hatte das Gefühl, die Italiener sind zu packen. Er hatte kurz zuvor den Kopfball, den Italiens Torhüter Buffon riesig gehalten hat. Und da muss ihm Materazzi etwas gesagt haben.
Was man jetzt noch nicht weiß.
Ich würde mich nicht wundern, wenn Zidane sagen würde: Das ist eine Sache zwischen ihm und mir. Materazzi muss ihm etwas gesagt haben in Richtung: Mutter, Kinder – oder in Richtung seiner muslimischen Herkunft.
Da ist dann ein Profi kein Profi mehr.
Ich rege mich auf, wenn ich höre: Zidane ist doch Profi. Hatte sich Kahn immer im Griff? Ja mein Gott!
In Oliver Kahn hat man gesellschaftspolitisch aber nie so viel hineinprojiziert wie in Zidane.
Ja, es hat sich alles vermischt: Zidane war nur noch der Held, der elegante Spieler. Das war er nicht. Man kann nicht den sauberen Buben haben, den Genius, den harten Jungen aus der Banlieue und dann noch Christus. Das geht nicht zusammen.
Zidane hat einmal gesagt: „Ich komme aus einem harten Viertel in Marseille. Dort wollte ich nie Streit, aber wenn man dich provoziert, kannst du nicht alles mit dir machen lassen.“ War er am Sonntagabend wieder in Marseille?
Ja, deswegen identifizieren sich die Jungs in den Vorstädten heute so mit ihm, weil er sich nichts gefallen lässt. Er kommt eben aus ihren Banlieues. Dort wächst man nicht im behüteten Alternativmilieu mit seinen antiautoritären Kitas auf. Um so hochzukommen wie Zidane, muss man einen Kampf führen um Leben und Tod. Man hat automatisch dieses Kampfbewusstsein. Und das kommt in solchen Momenten eben raus.
Hat er mit seiner Aktion gar an Symbolkraft für die Jugendlichen gewonnen?
Die stehen auf ihn, weil sie sagen: Ich hätte genauso reagiert, wenn der Materrazzi meine Mutter oder mich rassistisch angemacht hätte. Damit wird die Tat nicht richtiger. Aber der Held ist kein Heiliger – und das ist gut. Diese griechische Tragödie hatte etwas Reinigendes.
Weil es etwas Unwirkliches gehabt hätte, wenn er wie gegen Brasilien bei der WM 1998 noch einmal mit zwei Toren den Titel geholt hätte?
Ja. Götter sind nur Menschen. Mit ihrer Nickligkeit, ihrem Hass, ihrer Eifersucht. Fußball hat deshalb etwas vom Leben. Etwas Irrationales.
INTERVIEW: THILO KNOTT