He did it his way

Zinedine Zidane, 34, Frankreichs Kapitän, beendet seine legendäre Karriere beim WM-Finale gegen Italien mit einem Platzverweis. Warum er trotzdem der beste Spieler bleibt – nicht nur dieser WM

Aus Berlin ANDREAS RÜTTENAUER

Er hat Heimweh. Er will nicht weinen. Er trainiert. Er weiß, dass er ein ganz Großer werden kann. 13 Jahre ist Zinedine Zidane alt, als er seine Heimatstadt Marseille, als er seine Vorstadtsiedlung verlässt, um in Cannes am Fußballinternat an seinen Fertigkeiten zu arbeiten. Sein Talent ist offensichtlich. Doch niemand rechnet damit, dass der Vorstadtbengel einmal eine große Karriere starten wird. Denn er ist jähzornig. Wird er gefoult, tritt er zurück. Er weiß, dass er an sich arbeiten muss. Ein Trainer rät ihm, nach jeder Übungseinheit die Kabinen zu putzen, um Selbstbeherrschung zu lernen. Er fängt an zu putzen. Einen Monat lang schrubbt er für sein großes Ziel.

Zidane ist 34, als er zum zweiten Mal in seinem Leben ein Weltmeisterschaftsfinale spielt. Er ist der Kapitän. Er ist eine fußballerische Autorität. Als der Stadionsprecher am Sonntag in Berlin bei der Vorstellung der Teams seinen Namen nennt, applaudieren auch die Fans des Finalgegners. Schon vor dem Anpfiff kann jeder im Stadion spüren, dass er über den anderen steht. Die Geschichten über seine Herkunft aus einfachsten Verhältnissen, seine Zurückhaltung, seine Scheu, jeder weiß etwas über Zidane. Jeder weiß aber auch, dass Zidane nicht alles von sich preisgibt. Sein Schweigen hat ihn berühmt gemacht. Er wird auch verehrt, weil er sich nicht zur Schau stellt. Er führt kein Leben für die Öffentlichkeit wie David Beckham, sein Kollege bei Real Madrid. Er wird verehrt wegen seiner Art, Fußball zu spielen. Er zaubert nicht, um von den Rängen als Artist gefeiert zu werden. Ein Zirkuskünstler war Zidane nie. Und doch sieht es immer ein wenig anders aus als bei anderen Spielern, wenn er den Ball berührt, so als wolle er ihm etwas Gutes tun. Nicht selten geht ein Raunen durch die Arena, wenn er am Ball ist. Das Finale von Berlin ist das letzte Fußballspiel in seiner Karriere – so hatte er es angekündigt.

1998 fand die Weltmeisterschaft in Frankreich statt. Zinedine Zidane war der kreative Star einer Mannschaft, von der vor dem Turnier niemand so recht wusste, wo sie stand. Auf die Abwehr wurden Lobgesänge angestimmt, schon vor dem ersten Spiel. Der Sturm galt als großes Problem. Zidanes Ideen sollten Frankreichs Offensive gefährlich machen. Er war der Spielmacher, im Finale wurde er zum Stürmer. Seine beiden Kopfballtore gegen Brasilien machten ihn endgültig zum Liebling einer ganzen Nation. Er war den hohen Erwartungen gerecht geworden. Vergessen war seine Entgleisung aus dem Vorrundenspiel gegen Saudi-Arabien, als er einem Gegenspieler einen kräftigen Tritt verpasst hatte. Dafür hatte er die Rote Karte gesehen, war für zwei Spiele gesperrt worden. Der Jähzorn hatte sich wieder gemeldet.

Acht Jahre später. Es läuft die Verlängerung des Endspiels gegen Italien. Zinedine Zidane schraubt sich im Strafraum zu einem Kopfball in die Höhe und wuchtet den Ball in Richtung Tor. Gianluigi Buffon streckt sich und zeigt seine wohl größte Parade im gesamten Turnier. Zidane schaut gen Himmel. Die Szene wird auf der großen Videowand im Stadion wiederholt. Jedes Mal stöhnen die Zuschauer wieder auf, wenn sie die Szene sehen. Viele von ihnen hätten Zidane das Tor gegönnt, hätten gerne das kitschige Happy End einer großen Karriere tränenreich gefeiert. Vier Wochen früher noch hätte sich kaum einer vorstellen könne, dass die Laufbahn des Zinedine Zidane mit dem Endspiel der Weltmeisterschaft zu Ende gehen könnte. Die Mannschaft Frankreichs galt als überaltert. Zidane erfuhr zwar Würdigungen vor dem Turnier, Lobgesänge wurden angestimmt auf das, was er erreicht hat in seiner Karriere. Doch es wurde nur von der Vergangenheit gesprochen, an eine Gegenwart für Zidane glaubte niemand. Als ihm im Vorrundenspiel gegen Südkorea seine zweite Gelbe Karte vor das Gesicht gehalten wurde und Frankreichs Aufstieg ins Achtelfinale noch nicht feststand, fürchteten nicht wenige, Zidanes Karriere könnte mit einem peinlichen Unentschieden gegen Südkorea zu Ende gehen.

Doch Zidane kehrte zurück. Er ordnete sich ein in das defensive System seiner Mannschaft. Er arbeitete zum Zwecke der Verteidigung und bot sich bei jedem Angriff als Anspielstation an. Wieder war es ein Spiel gegen Brasilien, das er zum großen Auftritt nutzte. Das Viertelfinale gegen den Titelverteidiger wird unvergessen bleiben. Über seine Körpertäuschungen, seine Dribblings, die Art, wie er die Bälle an seine Mitspieler weitergeleitet hat, wurde noch Tage nach dem Spiel geschwärmt. Auf die Frage, wer der beste Fußballer dieser Weltmeisterschaft war, konnte es nur eine Antwort geben: Zinedine Zidane. Es ist kein neuer Stern am Fußballfirmament erschienen während dieser WM, ein alter hat neu zu leuchten begonnen.

Nur noch zehn Minuten sind in der zweiten Hälfte der Verlängerung im Berliner Finale zu spielen. Frankreich ist überlegen. Die Italiener scheinen am Ende ihrer Kräfte zu sein. Das Spiel wird unterbrochen. Marco Materazzi liegt verletzt auf dem Boden. Er muss behandelt werden. Ein Kopfstoß von Zinedine Zidane hat ihn zu Boden gestreckt. Nach einem Zweikampf, bei dem der Italiener an Zidanes Trikot herumgezupft hatte, fallen böse Worte. Französische Medien wollen herausbekommen haben, dass Materazzi seinen Widersacher mit Flüchen auf dessen Mutter beleidigt hat. Als Zidane die Rote Karte sieht, weiß er längst, was er angerichtet hat. Er schleicht in die Kabine, taucht zur Siegerehrung nicht mehr auf. Ein Weltstar verschwindet in den Katakomben des Olympiastadions. Böse Kommentare sind zu hören. Zidane sei immer schon unbeherrscht gewesen, mault der selbst ernannte deutsche Fußballguru Paul Breitner. Der Platzverweis im WM-Finale war die 14. Rote Karte in Zidanes Profikarriere, so wird vorgerechnet.

Während im deutschen Fernsehen an der Demontage der Persönlichkeit Zidane gearbeitet wird, sitzt dieser in der Kabine. Jean-Pierre Escalotte, der Präsident des französischen Fußballverbandes, zeichnet ein Bild menschlichen Jammers. „Ein Häufchen Elend“ sei Zidane. Ausdrücklich würdigt er die große Karriere des Ausnahmespielers. In seiner Jugend hat Zidane begonnen, seinen Jähzorn zu bekämpfen. Ganz ist er dessen nie Herr geworden. Zinedine Zidane war ein großer Fußballer. Er bleibt ein Mensch.