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Archiv-Artikel

Ein Märchen, bös und kalt

PREMIERE An der Komischen Oper hat man Sergei Prokofjews selten gespielte Oper „Der feurige Engel“ inszeniert. Und möglicherweise ist am Premierenabend mit Svetlana Sozdateleva in der Hauptrolle ein neuer Star geboren

Prokofjew-Woche

■ „Der feurige Engel“ (nächste Aufführungen 23. 1. und 2./16. 2.) steht im Zentrum der Prokofjew-Woche an der Komischen Oper, bei der heute am Mittwoch um 18.30 Uhr der Komponist in einem Vortrag „Zwischen Aufbruch und autoritärem Druck“ vorgestellt wird. Danach um 19.30 Uhr gibt es die Wiederaufnahme von Prokofjews Oper „Die Liebe zu drei Orangen“ (auch 24. 1.).

■ Zum Ende der Prokofjew-Woche hin am Freitag gibt es um 11 Uhr „Peter und der Wolf“ mit Max Hopp als Sprecher. Weitere Info: www.komische-oper-berlin.de

VON NIKLAUS HABLÜTZEL

Der Vorhang ist gefallen, aber nur wenige im Saal beginnen zu klatschen. Svetlana Sozdateleva tritt an die Rampe. Das Unterhemd ist durchnässt, das Gesicht ist leer, die schmalen, dunkelrot geschminkten Lippen sind zusammengepresst.

Das Klatschen im Saal wird etwas lauter. Sie entspannt sich, aber nur ein wenig. Sie versucht ein Lächeln, aber es gelingt ihr nicht so recht. Erst viel später, wenn auch die anderen an der Rampe stehen, kann sie es fassen. Sie war Renata, die Frau in Sergei Prokofjews Oper „Der feurige Engel“, die am Sonntag in der Komischen Oper von Berlin erstmals seit 40 Jahren in Deutschland aufgeführt worden ist.

So steht es im Programm, und wir wollen es glauben. Svetlana Sozdateleva hat mehr getan, als nur das zu singen, wofür sie engagiert worden ist. Renata ist die Hauptfigur eines russischen Romans vom Anfang des 20. Jahrhunderts, der symbolistisch überladen die Lektüre von Sigmund Freud in ein imaginäres deutschen Mittelalter überträgt.

Prokofjew hatte das Buch 1919 in Paris gelesen und war sofort wild entschlossen, daraus eine Oper zu machen. Das sagt viel aus über ihn, der sich in Paris überhaupt nicht wohl fühlte. Er war nicht modern genug für die Szene, die dort den Ton angab, mit Strawinski vor allem. Prokofjew hat acht Jahre an dem Stück gearbeitet, abgeschottet in selbst gewählter ästhetischer Isolation. Vollständig szenisch aufgeführt worden ist es erst nach seinem Tod, und nicht etwa in der stalinistischen Sowjetunion, wohin er sich frustriert zurückgezogen hatte, sondern 1955 im Westen, in Venedig in einer Inszenierung von Giorgio Strehler.

Mehr Hürden kann man wohl nicht aufbauen vor einer Sängerin, die erst am Anfang ihrer Laufbahn steht: ein Text, der nur aus der Zeit seiner Entstehung heraus zu verstehen ist, und eine Musik, die sich bis heute jeder Einordnung in gängige Kategorien widersetzt. Svetlana Sozdateleva überwindet sie alle. Nein, nicht spielerisch leicht, sondern leidend, mit einer körperlichen Hingabe, die bei allen Extremen dennoch niemals nach voyeuristischem Beifall schielt, sondern ausschließlich der Sache dient.

Die ist schwierig genug. Wir sehen die Sängerin orgiastisch zuckend im Negligé, dann kalt und streitsüchtig, aber auch romantisch träumend und schließlich als bußfertige Nonne im Kloster, in dem sie einen sexuellen Massenwahn auslöst.

Der Inquisitor (Jens Larsen, endlich mal wieder) verurteilt sie deshalb zum Scheiterhaufen. Svetlana Sozdateleva selbst holt den Benzinkanister. Vielleicht ist an diesem Abend ein Star geboren. Der Applaus im Saal wird nun doch stetig und laut. Jetzt ist es auch sie, die Henrik Nánási, den Chefdirigenten der Komischen Oper, an die Rampe bittet. Sie beide haben ja nichts weiter getan, als eine Musik zum Leben zu erwecken, die immer noch seltsam unbekannt ist. Es ging ihnen gar nicht um den Sex und den russischen Symbolismus, es ging ihnen um Prokofjew.

„Peter und der Wolf“, „Romeo und Julia“ oder auch die „Sinfonie classique“ haben ihm weltweit einen Stammplatz in den Programmen von Orchestern und Dirigenten eingebracht. Seine Opern haben es sehr viel schwerer – mit Ausnahme vielleicht der „Liebe zu drei Orangen“, die aber wohl eher ihrer grotesken Komik wegen fast immer ein Erfolg ist. Auch „Der feurige Engel“ ist ein Märchen, aber ein böses und kaltes, das Prokofjew mit unerbittlichem Tempo auf sein katastrophales Ende hin rasen lässt.

Es ging ihnen nicht um Sex und russischen Symbolismus, es ging ihnen um Prokofjew

Kaum eine Atempause

Die fünf Akte sind nach wenig mehr als zwei Stunden vorbei und lassen der Frau kaum eine Atempause, an der die Männer allesamt scheitern, angefangen vom braven Soldaten Ruprecht, über Faust und Mephisto bis hin zum Großinquisitor. Svetlana Sozdateleva hält durch, mit sicherer, präzise artikulierender Stimme, als sei auch sie nur ein Instrument des Orchesters, das sie einkleidet in einen Mantel aus den Klangfarben und harmonischen Effekten, die Prokofjew so populär gemacht haben. Aber es klingt hier anders. Prokofjews rationalistischer Dialekt versucht jetzt, eine sexuelle Obsession zu formulieren, die jeder Vernunft spottet.

Nánási und Sozdateleva lassen die Dialektik zwischen Intimität und Distanz hören, die daraus entstand. Nicht sie allein, auch Ensemble und Chor singen und spielen sehr gut mit, nur Benedict Andrews, der junge Regisseur aus Australien, hat nicht so tief in die Noten geblickt. Er verpackt die Stationen der Handlung in immer neue Kästen aus verschiebbaren Wänden.

Quadratisch und praktisch ist das schon, gut aber nicht. Nirgends, nicht einmal im finalen Frauenkloster, in dem die Nonnen – natürlich – anfangen müssen, sich zu entkleiden, ist etwas von dem Wahnsinn zu sehen, der zu hören ist. Man kann ihn ins Religiöse überhöhen oder so tief kühlen, wie er bei Prokofjew klingt. Aber man darf ihn nicht in den Hausfrauenroman einsperren, den uns Andrews erzählen möchte.