: Großer Applaus für Nevena
Nun gibt es kein Halten mehr auf dem Weg in die Generation P: Abi 2006. Eine Betroffene erzählt von den unvermeidlichen Streichen und den Lebensplänen ihrer (nun ehemaligen) MitschülerInnen
VON VIKTORIA STOLPE (20)
Dies war das letzte Mal, dass das Abitur noch nicht deutschland-zentral durchgezogen wurde – und die, die das Abi bestanden haben, mussten sich auch noch nicht mit diesen idiotischen Ami-Talaren und Bommelhüten zum Arsch machen. Dennoch steckte auch jetzt schon die Zeit nach der Abiprüfung voller Rituale – jedenfalls für die etwa 190 Abiturienten der Wilmersdorfer Curie-Oberschule und des Steglitzer Fichtenberg-Gymnasiums in Berlin (etwa 10 Prozent fielen durch).
Das fing mit der Abi-Verleihung im Rahmen einer Abi-Feier an, bei der sich an der „Fichte“ zwei Schüler bereit erklärt hatten, die allfälligen Reden zu halten. Standing Ovations erntete hier Nevena (20), die unter den Abiturienten als die Intelligenteste gilt. Sie war erst vor vier Jahren aus Serbien nach Steglitz gezogen – und konnte anfangs kein Wort Deutsch! Ihre Großmutter hatte sie jedoch beruhigt: „In Berlin leben auch Menschen!“ Und so war es auch tatsächlich gekommen. Sie will nun Spanisch studieren und fährt erst einmal nach Andalusien.
Kurz vor dem Abi hatten die Fichtenberger noch eine selbst organisierte Abifahrt nach Kroatien unternommen. Auf ihre Abifeier folgte sodann die Ausgabe des Abibuches, in dem jeder eine Seite gestaltet hatte – mit vielen Fotos von sich und von Freunden bis hin zu den Eltern. Ähnlich wie die Abifeier, nur alkoholisierter und lauter, war dann auch der Abiball, für den man die Festhalle bei Bergmann-Borsig nebst rotem Teppich angemietet hatte – Eltern, Lehrer etc. mussten 37 Euro Eintritt zahlen, dafür bekamen sie jede Menge schöne Ballkleider zu sehen und im Flur konnten sie sich mit ihren „Abiturskindern“ einzeln oder en bloc fotografieren lassen. Deren Tanzen auf und vor der Bühne wurde auf Großleinwand übertragen, wovon man später ebenfalls eine CD käuflich erwerben konnte, dazu noch „Abi-T-Shirts“.
An den darauf folgenden Tagen fanden allabendlich dezentrale Abipartys statt, die teilweise mit Grillen, Im-Wannsee-Baden und dem Besuch von WM-Veranstaltungen bzw. -Discos verbunden waren. Währenddessen wurde über den fälligen Abistreich nachgedacht, der bei den Fichtenbergern dann darin bestand, dass sie an einem Tag alle Lehrer und Schüler, die trotz der Hitze brav weiterhin zur Schule gehen mussten, mit Wasser und schwarz-rot-goldener Farbe bespritzten. Aus Versehen kamen dabei Acryl-Farben zum Einsatz, die ganz schlecht wieder abzukriegen waren.
Danach trat ein merkwürdiges Phänomen ein: Jahrelang hatten viele Abiturienten die Schule verflucht und einige Schulwechsler (zwischen Fichtenberg und Curie) sich gar nicht erst groß in ihre letzten Kurse mehr integriert. Als fertige Abiturienten fanden sie sich aber nun plötzlich jeden Abend vor der Schule ein. Es war wie ein Nicht-abnabeln-Wollen. Da war es dann leicht, neben Nevena („The Brain“) auch noch etliche andere Abiturienten nach ihrem Woher und Wohin zu fragen:
Najma (19), deren Vater aus Indien und deren Mutter aus Pakistan stammt, will in Hamburg Business Administration studieren.
Rayen (20), dessen Mutter Chilenin ist und der die doppelte Staatsangehörigkeit besitzt, will Spanisch an der FU studieren, fährt aber erst einmal ein Auslandssemester lang nach Chile.
Silas (20) absolviert in einem Segelclub sein freiwilliges soziales Jahr und will dann Kfz-Ingenieur werden.
Ryan (20), dessen Vater aus Südafrika und dessen Mutter aus Australien kommt, weiß noch nicht, was er machen soll, kann oder will.
Rebecca (20), deren Vater aus Polen und deren Mutter aus Ungarn stammt, will wie schon seit 2002 ihre Schauspielkarriere hier weiterverfolgen.
Amos (19), dessen Vater Marokkaner ist, arbeitet bereits in einem Call-Center und will demnächst Psychologie studieren.
Lena (19), die vor sieben Jahren aus Hessen nach Berlin gezogen ist, will erst einmal eine ausgedehnte Asien-Tour unternehmen und dann Arzthelferin werden.
Xiao (20), der in China geboren ist, wird (natürlich) Wirtschaftswissenschaften studieren.
Moritz (19), einer der wenigen, dessen Eltern aus Berlin stammen, will irgendwas mit Kommunikation und Wirtschaft belegen, wird aber erst einmal nach Barcelona fahren, um sich das Heimspiel gegen Real Madrid anzuschauen.
Laura (19), ebenfalls Vollberlinerin, macht ein Praktikum in einem Aldiana-Ferienclub und will danach eventuell Hotelmanagement studieren.
Ähnliches hat, glaube ich, auch Varinia vor, die aus Rumänien stammt, sie geriet mir jedoch mit einer anderen Clique aus den Augen, sodass ich sie nicht mehr fragen konnte. Aber auch mein weiterer Werdegang ist nicht viel anders, nur dass meine Mutter aus Tschechien stammt, ich fange demnächst ein längeres Praktikum bei RTL an, danach will ich Film studieren. Erst einmal müssen wir aber alle wieder nüchtern werden, in den vergangenen drei Wochen waren die meisten von uns – nicht zuletzt WM-bedingt – ständig betrunken gewesen. Und vorgestern zum Finale haben wir uns auch noch mal die Kante geben (müssen).